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Climbing

Leistungssteigerung beim Klettern durch mentales Training

So funktioniert ideomotorisches Training als effektive Trainingsmethode für Kletterer

Spitzenathleten im Klettersport bestechen nicht nur durch ihre körperliche Fitness, sondern können sich in Ausnahmesituationen auch auf ihre Nervenstärke und ein ausgefeiltes Visualisieren von Bewegungsabläufen verlassen. Auf mentaler Ebene liegt deutlich mehr Potenzial brach, als viele vermuten würden. Wie schaffen es die Profis, selbst in Drucksituationen bei Wettkämpfen ihr volles Leistungsvermögen auszuschöpfen? Das ideale Zusammenspiel von körperlicher Fitness und mentaler Stärke macht neben dem sportlichen Talent den Unterschied aus.

„Der Kopf ist der stärkste Muskel beim Klettern“ – Wolfgang Güllich

Um es mit den Worten von Kletterikone Wolfgang Güllich zu sagen: „Der Kopf ist der stärkste Muskel beim Klettern!“ Hochkonzentriert agieren Kletterer jeder Könnensstufe bei der Begehung einer Route, die im oberen Bereich der individuellen Leistungsstärke liegt. Der Mix aus Kraftausdauer und Konzentration führt zu einer deutlich höheren Anspannung im direkten Vergleich zu vielen anderen Sportarten. Visualisieren als regelmäßig eingebaute Trainingsform unterstützt die immer wiederkehrenden Abläufe in der Vertikalen, um auch in nervenaufreibenden Situationen dank der Automatismen möglichst ruhig und konzentriert zu bleiben.

Der Großteil von Deutschlands Kletterern steigt ohne übertriebenen Ehrgeiz und Leistungsanspruch in die Wand ein, doch auch kleine sportliche Erfolge sowie jede Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten verschaffen zusätzliche Motivation für die nächste Herausforderung. Daher kann die psychologische Komponente und das effektivere Ausschöpfen der Möglichkeiten vom gelegentlichen Hallenkletterer bis zum ambitionierten Sportler ein effizienter Hebel zu mehr Erfolgserlebnissen bedeuten.

Mindset – die richtige Denkweise

Nicht unbedingt die kräftigsten Kletterer schaffen automatisch auch die schwersten Routen. Die richtige mentale Herangehensweise wird oftmals unterschätzt und körperliche Schwäche vorschnell als limitierender Faktor für ein Scheitern an der Schlüsselstelle einer Route herangezogen. Eine klassische Szene in einer Kletterhalle: Nur Minuten nach mehreren vergeblichen Versuchen des voll durchtrainierten Endzwanzigers durchsteigt eine Frau mit relativ zierlichem Körperbau scheinbar mühelos die Crux.

Insbesondere Kletterinnen sind stärker darauf angewiesen, ihre technischen Möglichkeiten wirkungsvoll auszuspielen, da sie im direkten Vergleich zu Männern über deutlich weniger Maximalkraft für boulderlastige Routenabschnitte verfügen. Selbst für höhere Schwierigkeitsgrade ist nicht ein unterstützendes Krafttraining allein entscheidend über Erfolg oder Misserfolg. Den Fokus deutlicher auf die Technik und Vorbereitung einer Route zu legen, anstatt die Anzahl der Klimmzüge akribisch hochzuschrauben, zahlt sich nachhaltig in der Wand aus.

Foto: Tyson Dudley
Foto: Tyson Dudley/Unsplash

Visualisieren einer Route

Sich eine Route vorher „zurechtzulegen“, kann sehr viel Energie sparen, denn ein Kletterer hat während des Aufstiegs bereits den Plan abrufbereit. Mehr noch: Die spezielle Trainingsform, auch Vorstellungstraining oder ideomotorisches Training genannt, löst den sogenannten „Carpenter-Effekt“ aus – durch Beobachtung oder Vorstellung einer Bewegung wird derselbe Ablauf in den eigenen Muskeln in abgeschwächter Form ausgeführt. Die Grundlage einer Bewegung wird somit vor deren eigentlicher Ausführung bereits im Nervensystem gelegt; der Bewegungsablauf erscheint bei der Umsetzung später vertrauter.

Beim Bouldern und Rotpunktklettern ist es unter Fortgeschrittenen üblich, schon vor dem aktiven Klettern nach Lösungen für die komplexen Abfolgen einzelner Bewegungsmuster zu suchen.

Kognitive Aspekte des Vorstellungstrainings umfassen das Visualisieren von Bewegungen, die Bereitstellung taktischer Marschrouten und erstrebte emotionale Zustände. Motivationale Aspekte beinhalten generelle Zielvorstellungen, um die Motivation positiv zu beeinflussen. Die Kraft der Visualisierung stellt ein effektives und im Hochleistungssport sogar notwendiges Mittel dar, um hoch gesteckte Ziele erreichen zu können.

Foto: Tommy Lisbin
Foto: Tommy Lisbin/Unsplash

Durch systematischen Einsatz des Vorstellungstrainings wird das Leistungsvermögen optimiert. Studien haben gezeigt, dass Sportler eher zum Erfolg gelangen, wenn sie visualisieren, was sie erreichen wollen. Dabei lässt sich eben nicht nur eine Bewegung detailliert vorher trainieren, sondern auch die Angst vor einem Absturz minimieren oder die Ruhe in Wettkampfsituationen simulieren. Schon bei leichter Höhenangst kann die innere Hemmschwelle einen ganzen Grad auf der Schwierigkeitsskala kosten.

„Ich habe schon tausendmal Wimbledon in meiner Vorstellung gewonnen, bevor ich dort wirklich gewonnen habe.“ – André Agassi

Hans Eberspächer, der bis 2008 als Professor für Sportpsychologie an der Universität Heidelberg lehrte, definierte mentales Training als „planmäßig wiederholte und bewusst durchgeführte Vorstellung einer Bewegung oder Handlung ohne deren gleichzeitige praktische Ausführung“.

Umsetzung des ideomotorischen Trainings

Da Ziele auf das Leistungsvermögen individuell zugeschnitten formuliert werden müssen, sollten sie nicht unerreichbar sein, sondern möglichst realistisch bleiben. Erwiesenermaßen steigert sich das Leistungsniveau auch nur bei systematischem Vorstellungstraining über einen längeren Zeitraum. In einer gut besuchten Kletterhalle fällt es wegen der Ablenkungen anfangs nicht leicht, sich auf die „Trockenübung im Kopf“ vor der Begehung einer Route zu konzentrieren, aber der Gewöhnungseffekt stellt sich recht schnell in verschiedenen Umgebungen ein, wenn die Übungen regelmäßig eingebaut und praktiziert werden. Die mentalen Abläufe sollten im Geist möglichst mit der gleichen Geschwindigkeit wie die tatsächlichen Bewegungen abgespielt werden.

Beim Aneignen von neuen Techniken können auch Vorstellungen zunächst in Slow-Motion erzeugt werden, um den Bewegungsablauf zu präzisieren. Mit zunehmendem Training laufen sie im Kopf dann idealerweise in ähnlicher Geschwindigkeit ab wie die realen Züge in der Wand. Mit etwas Geduld stellen sich mit der Zeit Automatismen ein, von denen man spürbar profitiert.

Videos unterstützen den Prozess

Um die visuelle Vorstellung zu unterstützen, schauen sich Profis Videos vom eigenen Kletterstil an, um schon bei der Analyse Korrekturen im Bewegungsablauf vorzunehmen. Der Effekt dabei ist sogar ähnlich wirksam wie beim Vorstellungstraining selbst, denn es werden die gleichen Prozesse im zentralen Nervensystem stimuliert. Auch das Lernen durch Beobachtung anderer Kletterer – in Videos oder an der Wand – hilft dabei, diesen Lerneffekt anzuregen.

Cover: Ali Bharmal / Red Bull Content Pool

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