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Jessea Lu 7 Beats per Minute

Outdoor

Freediverin Jessea Lu über ihre Nahtoderfahrung beim Weltrekordversuch

“Es war ein Geschenk, eine Art Wiedergeburt!” - Im Interview mit Jessea Lu über ihren Film 7 BEATS PER MINUTE

Jessea Lu erscheint in Flip-Flops und Sportkleidung, als wir uns in der Hotellobby in Hamburg zum Interview treffen. Sie wirkt ein wenig, als käme sie aus einer anderen Welt – ihr Geist scheint weit entfernt. Dieser Eindruck täuscht nicht, denn bald erzählt sie von einer Nahtoderfahrung, die ihr Leben in tiefgreifender Weise verändert hat.

Jessea Lu 7 Beats per Minute
Jessea Lu

Jessea Lu ist Freediverin, hat einen Doktor in Pharmakologie und bereits einen Weltrekord, 37 nationale Rekorde, 15 Goldmedaillen, 7 Silbermedaillen und 8 Bronzemedaillen in der Tasche. Ihr erster Weltrekordversuch auf 93 Meter Tiefe endet in einem vierminütigen Blackout – eine Nahtoderfahrung. Doch dieses Erlebnis beschreibt Jessea nicht etwa als Trauma, sondern als “Geschenk”.

Wir haben Jessea Lu auf der Premiere der Ocean Film Tour getroffen, wo auch ihr Film 7 Beats per Minute läuft. Im Interview spricht Jessea über ihre Nahtoderfahrung, darüber, warum sie seitdem glücklicher ist und weshalb sie heute keine Wettkämpfe mehr taucht.

Hey Jessea. Kannst du dich bitte kurz vorstellen? 

Mein Name ist Jessea Lu. Ich bin in China geboren und habe dort bis zu meinem Studienabschluss gelebt. Danach habe ich ein Stipendium für die USA bekommen, wo ich meinen Doktortitel in klinischer Pharmakologie gemacht habe. Ich hatte schon in der Schulzeit eine Leidenschaft fürs Tauchen und diese Leidenschaft hat mich schließlich nach Hawaii geführt, wo ich als Wissenschaftlerin gearbeitet und meine Karriere im Freediving begonnen habe.

PS: Eigentlich heiße ich Jessie, aber das erste Mal, als ich mit Delfinen geschwommen bin, schlug ein Unterwasser-Videograf vor, dass ich mich auch JesSEA nennen könnt. Mir gefiel der Name.

Wie bist du zum Freediving gekommen? 

Während meines Studiums habe ich einen Scoober-Tauchkurs gemacht und in Hawaii das Tauchen mit Sauerstoffflasche gelernt. Das hat mich so begeistert, dass ich nach meinem Abschluss 2012 nach Hawaii zog, um dort meine wissenschaftliche Karriere zu starten – und gleichzeitig immer mehr Zeit mit dem Tauchen zu verbringen.

Ich war mit einer Tauchgruppe unter Wasser, als plötzlich Speerfischer auftauchten. Sie bewegten sich mit einer unglaublichen Leichtigkeit und Anmut durchs Wasser, glitten mühelos über das Riff – und das ganz ohne Ausrüstung, nur mit ihrem Atem. Im Vergleich dazu fühlte ich mich mit meinem schweren Equipment unbeholfen, wie eine riesige, langsame Schildkröte. In diesem Moment wusste ich: Ich wollte diese Art der Freiheit unter Wasser erleben. Also meldete ich mich für einen Freedive-Kurs an.

Jessea Lu 7 Beats per Minute

Wie begann deine Karriere im Wettkampf-Tauchen?

Ich hatte das Glück, von hervorragenden Lehrern umgeben zu sein. Sie waren nicht nur erfahren, sondern organisierten auch Trainingscamps und Wettkämpfe.

In China steckte Freediving damals noch in den Kinderschuhen, es gab kaum Wettkämpfe.

Nach meinem ersten Kurs erzählte man mir, dass meine Luftanhaltezeit bereits besser war als der aktuelle chinesische Rekord. Ich wurde ermutigt, an einem Wettkampf teilzunehmen – ich hatte damals nicht die Absicht, Athletin zu werden, sondern war einfach neugierig. Ich wollte das Wasser genießen, tiefer tauchen und meine Fähigkeiten verbessern.

Doch als ich schließlich antrat, kam die Überraschung: Am Ende der Woche wurde mir gesagt, dass ich in diesem Wettkampf den zweiten Platz in der Frauenkategorie erreicht und gleich fünf nationale Rekorde aufgestellt hatte – ohne es wirklich geplant zu haben. Diese Erfahrung hat mich dazu gebracht, weiterzumachen. In den folgenden Jahren wurde das Tauchen für mich zu einer Priorität.

Was ist deine liebste Disziplin?

FIM (Free Immersion), das ist dynamischer und fließender.

Was ist die Vertical Blue Competition und was macht sie so besonders?

Das Vertical Blue zählt zu den prestigeträchtigsten Freitauch-Wettkämpfen und findet auf Long Island, den Bahamas, statt. Das Dean’s Blue Hole ist 202 Meter tief und bietet perfekte Möglichkeiten für Competitions. Hier stellen die besten Athleten persönliche Bestleistungen auf oder brechen Weltrekorde. Früher war die Teilnahme nur auf Einladung möglich, inzwischen ist sie etwas offener. Für viele Freediver ist es die ultimative Bühne, um sich mit den Besten zu messen.

Dein erster Kontakt mit diesem Event war 2016. Wie kam es dazu?

Freediven ist zwar eine Nischensportart, doch anders als in vielen anderen Profisportarten hat man hier die Möglichkeit, relativ schnell mit den Weltbesten zu trainieren und an denselben Wettkämpfen teilzunehmen.

2016 wurde ich eingeladen, auf Long Island auf den Bahamas zu trainieren – dort hörte ich zum ersten Mal von der Vertical Blue Competition. Ich war erst in meinem zweiten Wettkampfjahr, als ich mich für mein erstes Vertical Blue anmeldete.

Ehrlich gesagt hatte ich keine Vorstellung davon, was mich erwartet. Ich wollte vor allem Erfahrungen sammeln, meine Technik verbessern und herausfinden, wo meine Grenzen liegen. Aber ich habe die enorme mentale Herausforderung dieses Wettkampfs unterschätzt.

Jessea Lu 7 Beats per Minute
Jessea Lu in 7 BEATS PER MINUTE

2016 begann auch deine komplizierte Beziehung zur Vertical Blue Competition. Was ist damals passiert, und wie verlief der Wettkampf?

Es war psychisch belastend. Ich reiste allein an, fühlte mich isoliert und fand ein hochkompetitives Umfeld vor. Vor Ort erlebte ich mich als Außenseiterin. Die Insel bot kaum Ressourcen – selbst Sauerstoff musste von woanders hergebracht werden. Die Organisation bevorzugte die erfahrensten Athleten, während weniger Erfahrene, wie ich damals, auf eine schlechter ausgestattete Plattform verwiesen wurden. Diese Ungleichbehandlung machte den Wettkampf nicht nur körperlich, sondern auch mental extrem fordernd. Ich bin ein ehrgeiziger Mensch, doch der Wettbewerb wirkte auf mich weder fair noch motivierend.

Bei meinem ersten Vertical Blue 2016 gab ich alles, aber ich hatte keinen Spaß. Zwar holte ich am Ende eine Silbermedaille in einer Disziplin, doch es fühlte sich nicht wie ein Erfolg an. Außerdem habe ich meinen ersten Blackout im offenen Meer erlebt – das war wirklich gruselig. Danach war ich körperlich und emotional ausgelaugt und habe den Wettkampf vorzeitig abgebrochen. So begann meine schwierige Beziehung zu Long Island.

Trotz deiner schwierigen Erfahrung hast du dich 2018 entschieden, zurückzukehren und einen Weltrekordversuch zu starten. Warum?

Meine erste Begegnung mit den Bahamas hatte tiefe Spuren hinterlassen – und ich wollte die Geschichte für mich neu schreiben. Außerdem wusste ich, dass sich eine solche Gelegenheit möglicherweise nie wieder ergeben würde. Freediven ist ein rasanter Sport, in dem die Grenzen ständig neu gesetzt werden. Wenn ich es nicht versucht hätte, hätte jemand anderes diesen Rekord aufgestellt – und die Chance wäre verloren gewesen.

Deshalb entschied ich mich, gezielt für einen Weltrekord zu trainieren. Ich fand Sponsoren, die an mich glaubten, bereitete mich mental und körperlich intensiv vor und kehrte 2018 mit einer klaren Mission zurück. Doch obwohl ich diesmal deutlich gefestigter war, spürte ich immer noch die emotionalen Lasten, die mit diesem Wettkampf und diesem Ort verbunden waren.

Jessea Lu

Wie hast du dich kurz vor dem Rekordversuch gefühlt?

Einerseits hatte ich mich lange und intensiv vorbereitet und wusste, dass ich körperlich fit war. Andererseits gab es in den Wochen vor dem Wettkampf unerwartete Herausforderungen, die mich mental forderten und meine Vorbereitung beeinträchtigten.

Meine Trainingspartnerin musste plötzlich abreisen und kehrte erst am Tag vor dem Event zurück. Dadurch fehlte mir in den entscheidenden Wochen meine gewohnte Trainingsroutine. Außerdem wurde ich krank und konnte meine Übungen nicht wie gewohnt machen. Das hat mich alles mental unter Druck gesetzt.

Als meine Trainingspartnerin jedoch zurückkam, gab mir das zumindest etwas Sicherheit. Ich versuchte, auf meine Erfahrung und frühere Erfolge zu vertrauen, um mein Selbstbewusstsein zu stärken. Trotz der schlechten Vorbereitung entschied ich mich, den Rekordversuch zu wagen. Scheitern bedeutet nicht, dass ich mich in Gefahr begebe, denn die Rettungsroutinen sind bei solchen Events gründlich organisiert. Es ging eher um die Scham, öffentlich zu versagen.

Ein weiteres Problem war, dass meine Trainingspartnerin und ich den Atemrhythmus vor dem Tauchgang nie genau abgestimmt hatten. Kurz vor dem Event musste ich also etwas Neues ausprobieren – ein Fehler. Solche extremen Tauchgänge erfordern präzise Planung und wiederholtes Üben, um Körper und Geist darauf vorzubereiten. Während des finalen Tauchgangs fühlte ich mich wie in einer völlig anderen Welt – physisch und mental.

Während deines Rekordversuchs 2018 hattest du einen vierminütigen Blackout und eine Nahtoderfahrung. Wie hat sich das angefühlt? 

Mein Blackout war eine der tiefgreifendsten Erfahrungen meines Lebens, eine außerkörperliche Erfahrung. Als ich aus dem Wasser gerettet wurde, hatte ich das Gefühl, dass mein Geist meinen Körper verlassen hatte. Ich war völlig losgelöst von meinen Sinnen – kein Sehen, kein Hören, kein Fühlen. Aber mein Bewusstsein war unglaublich klar, fast so, als hätte ich Zugriff auf das gesamte Wissen meines Lebens. Mein Verstand arbeitete wie ein Supercomputer, der in Sekundenbruchteilen all meine Erinnerungen durchging und eine kristallklare Schlussfolgerung zog. Es war eine vollkommen ruhige und friedliche Erfahrung – so, als würde ich aus einer höheren Perspektive auf mich selbst blicken.

Jessea Lu

Wie hast du den Weg zurück in deinen Körper gefunden?

Als meine Sinne langsam zurückkehrten, wusste ich, dass ich wieder ganz in meinen Körper finden muss – nicht nur für mich, sondern auch, um den Menschen um mich herum zu zeigen, dass es mir gut geht.

Ich spürte die Anspannung, die Aufregung der Rettungssituation – die Stimmen um mich herum waren laut, hektisch, voller Sorge. Nach diesem friedlichen, fast losgelösten Zustand, in dem ich mich zuvor befunden hatte, fühlte sich die Rückkehr in meinen Körper plötzlich unglaublich mühsam an. Es war, als müsste ich mich Schritt für Schritt zurück ins Hier und Jetzt kämpfen.

Wie hat dieser Blackout dein Leben verändert?

Absolut. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass unser Bewusstsein weit mehr ist als unsere physische Existenz. Für einen Moment fühlte es sich an, als hätte ich eine Ahnung davon, was vor unserer Geburt oder nach dem Tod sein könnte – eine Art grenzenloses Wissen, eine tiefe Verbundenheit mit allem.

Als ich dann in meinen Körper zurückkehrte, wurde mir bewusst, was für ein unglaubliches Geschenk es ist, durch ihn die Welt zu erleben.

Seitdem bin ich glücklicher, weil ich weiß, dass nichts selbstverständlich ist – nicht einmal die Möglichkeit, diese Welt bewusst zu erleben. Für mich war diese Erfahrung ein Geschenk, eine Art Wiedergeburt.

Ich nehme mir jeden Tag bewusst einen Moment, um mich einfach darüber zu freuen, dass ich hier bin, dass ich fühlen, hören und atmen kann.

Wie hast du dich nach deiner Nahtoderfahrung gefühlt? 

Auch wenn es komisch klingt, war es insgesamt eine großartige Erfahrung, und eine emotionale Achterbahnfahrt. Einerseits war ich traurig, weil ich den Rekord nicht geschafft hatte. Ich hatte so hart dafür trainiert, meine Sponsoren hatten große Hoffnungen in mich gesetzt, und natürlich wollte ich diesen Erfolg für mich selbst. Doch gleichzeitig verspürte ich eine tiefe Dankbarkeit für das, was ich erlebt hatte – eine Erfahrung, die weit über den sportlichen Erfolg hinausging. Es war eine Mischung aus Enttäuschung, Erleichterung und Demut.

Gab es einen Moment, in dem du Angst hattest?

Die einzige kleine Angst, die ich hatte, war die Sorge, dass ich mich beim Blackout verletzt haben könnte. Ich hatte Angst, dass ich nicht mehr so tief tauchen könnte, falls mein Körper durch den Vorfall eine bleibende Verletzung davongetragen hätte. Es war nicht die Angst um meine Sicherheit während des Tauchens, sondern die Frage, ob ich meine Leidenschaft für den Sport weiter ausüben kann.

Hat es dich große Überwindung gekostet, nach diesem Vorfall wieder ins Wasser zu gehen? 

Nein. Ich liebe das Freediving so sehr, dass ich am letzten Tag des Events einen 30-Meter-Tauchgang gemacht habe. Für eine vollständige Erholung war die Zeit eigentlich zu knapp, aber ich bin nicht tief getaucht. 30 Meter sind genau der Punkt, an dem die Lunge ihr Residualvolumen erreicht, ohne weiter belastet zu werden.

Nach diesem Erlebnis wollte ich mir zeigen, dass ich noch freediven kann. Also bin ich aus Spaß 30 Meter getaucht, um mein Vertrauen zurückzugewinnen. Es war ein emotionaler Moment und zugleich eine wichtige Bestätigung.

Am nächsten Tag war ich von vielen Gefühlen überwältigt, aber ich habe schnell einen positiven Weg gefunden. Ich habe bewusst entschieden, das Scheitern loszulassen und die Erfahrung als Chance zu sehen. Seitdem hat sich mein Leben deutlich verbessert – nicht nur sportlich, sondern auch persönlich. Insgesamt geht es heute viel besser als zuvor.

Jessea Lu

Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus deiner Nahtoderfahrung?

Eine der größten Lektionen war, wie wichtig zwischenmenschliche Verbindungen für mich sind. Früher habe ich mich oft von anderen distanziert und versucht, möglichst unabhängig zu sein. Vielleicht, weil ich als Kind nie die gesunden Beziehungen zu meiner Mutter hatte, die ich mir wünschte. Jeder Versuch, eine stabile Verbindung zu ihr aufzubauen, scheiterte. Einmal habe ich meine Mutter sogar gefragt, ob es besser für sie wäre, wenn ich tot wäre, und sie sagte ja.

Also habe ich wohl aufgegeben und mich auf Schule und Arbeit konzentriert. Doch später habe ich erkannt, warum ich eine so schwierige Beziehung zur Vertical Blue Competition hatte. Diese Abgeschiedenheit der Bahamas war ein Auslöser für meine Einsamkeit und eine Herausforderung, die mich emotional wachsen ließ. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, sich auf andere einzulassen und nicht alles allein durchzustehen.

Außerdem habe ich gelernt, auf meinen Körper und seine Grenzen zu hören. Bis zu diesem Punkt hatte mich das Freediven gelehrt, eben keine Grenzen zu setzen, meinem Körper zu vertrauen und mich voll auf die Herausforderung einzulassen. Doch am Tag des Blackouts ging es nicht darum, weiterzugehen – sondern darum, zu erkennen, wann es Zeit ist, die Bremse zu ziehen. Ich habe gelernt, die Anzeichen für einen Blackout zu verstehen: Wie fühle ich mich? Was denke ich? In welchem emotionalen Zustand bin ich? Denn es ist wichtig zu wissen, wann man aufhören muss.

Man kann sein Potenzial nur dann wirklich ausschöpfen, wenn man auch seine Grenzen kennt – bevor man sie überschreitet.

Jessea Lu 7 Beats per Minute
Jessea Lu in 7 BEATS PER MINUTE

2019 hast du auf den Philippinen einen erneuten Weltrekordversuch unternommen – und es geschafft. Was war dieses Mal anders?

Genau, 2019 habe ich einen Weltrekord im CWBT (Constant Weight with Bi-Fins) bei 83 Metern aufgestellt. Der Wettkampf selbst war hart. Ich hatte sechs Versuche fünf davon scheiterten. Doch am letzten Tag, mit meinem letzten Versuch, habe ich es geschafft.

Der entscheidende Unterschied? Diesmal war ich im Reinen mit mir selbst. Ich bin nicht mit Druck oder Angst in den Tauchgang gestartet, sondern mit Akzeptanz. Ich hatte Frieden mit mir selbst gefunden.

Jessea Lu

Ich habe gelernt, dass jeder Tag ein neuer Tag ist und dass wir oft zu viel Gepäck aus der Vergangenheit mit uns herumtragen – aber die wahre Frage ist, ob wir in der Lage sind, jeden Tag mit Frieden zu beginnen.

Ich fühlte mich nicht mehr von diesem Ort verfolgt. Es war eine lange Reise, aber als ich diesen letzten Wettkampf abgeschlossen hatte, wurde mir bewusst, dass ich diese Erfahrung nicht länger als Last mit mir herumtragen würde. Diese Insel war jahrelang mein persönlicher Dämon, der Ort, an dem ich 2016 und 2018 meine einzigen beiden Blackouts im Ozean hatte.

Als ich 2019 den Rekord brach, wurde mir klar: Mein größter Gegner war nie die Tiefe oder die Herausforderung selbst – es waren meine eigenen Emotionen. Und als ich das verstand, konnte ich sie endlich loslassen.

Jessea Lu

2022 bist du nochmal auf die Bahamas zurückgekehrt und hast ein letztes Mal an der Vertical Blue Competition teilgenommen. Warum?

Die Bahamas haben in mir immer wieder diese tiefe Einsamkeit hervorgerufen. Als ich 2022 zurückgekehrt bin, hatte ich mir geschworen, nie wieder alleine an diesen Ort zu gehen. Deshalb hatte ich die Regisseurin meines Films “7 Beats per Minute”, mit der ich eng befreundet war, als Sicherheitstaucherin dabei. Es war uns wichtig, eine Wendung im Film zu finden und menschliche Verbindungen in den Fokus zu rücken. Am Ende war es nicht nur eine Entscheidung für die Dokumentation, sondern auch ein persönlicher Schutz für mich. Ich wollte nicht nur den Rekord brechen – ich wollte herausfinden, ob ich diesen Ort wirklich in Frieden hinter mir lassen konnte.

Ich wusste, dass der Tauchgang nur dann gut gehen konnte, wenn ich meine Emotionen wirklich adressierte. Bei meinen letzten Versuchen hatte ich immer hohe Erwartungen an mich selbst und wollte diese Einsamkeit überwinden, aber ich war nie wirklich okay mit dem, was ich fühlte. Genau das hat mich zurückgeworfen. Diesmal war es anders: Ich wollte mich emotional herausfordern, um zu sehen, ob ich diese Gefühle endlich überwinden kann.

Ihr habt fünf Jahre an deinem Film “7 Beats per Minute” gearbeitet. Wie kam es dazu und was ist die Botschaft, die ihr vermitteln wollt? 

Die Doku wäre wahrscheinlich nie entstanden, wenn nicht die Pandemie dazwischengekommen wäre. Eigentlich hatte ich geplant, an anderen Wettbewerben teilzunehmen, aber nach den Absagen stand ich plötzlich vor einer ganz anderen Herausforderung – einer inneren. Es war an der Zeit, mich ein für alle mal ganz ausführlich mit meinen Emotionen auseinanderzusetzen. Zwei Jahre später hatte ich das Gefühl, dass ich genug daran gearbeitet hatte, um besser mit den Gefühlen umzugehen und sie in einem Film darzustellen.

Wir möchten zeigen, dass es möglich ist, sich selbst zu transformieren. Alle negativen Emotionen, die uns belasten, können umprogrammiert werden, wenn man daran glaubt.

Es geht nicht darum, diese Ängste zu ignorieren, sondern darum, sie anzunehmen und zu lernen, wie man mit ihnen umgeht. Für mich war es die Einsamkeit, diese Art von Angst, keine qualitativ hochwertige menschliche Beziehung zu haben. Für andere Menschen mag es etwas anderes sein, aber die Lektion bleibt die gleiche: Wir haben die Macht, unsere Erfahrungen neu zu gestalten.

Die Vertical Blue 2022 war deine letzte Competition im Freediving. Warum hast du mit den Contests aufgehört? 

Von 2014 bis 2022 habe ich aktiv an Wettbewerben teilgenommen. Es war eine unglaubliche Reise, doch durch die Pandemie wurden sämtliche Events abgesagt, was natürlich alles umkrempelte.

Ich habe Hawaii verlassen, wurde Digital Nomade und beschloss, die Welt zu erkunden und Neues zu lernen. Obwohl ich weiterhin freedive, verfolge ich es nicht mehr als Wettkampfsport. Die Vertical Blue 2022 war mein letzter offizieller Wettkampf. Seitdem konzentriere ich mich auf persönliche und berufliche Projekte.

Warum hast du dich für ein Leben als Digitale Nomade entschieden? Planst du, in der Zukunft mal wieder an einem Freedive-Wettbewerb teilzunehmen? 

Momentan habe ich keine konkreten Pläne für Wettbewerbe, aber ich denke, irgendwann werde ich wahrscheinlich wieder teilnehmen.

Ich liebe den Sport und die Community, und Freediven ist eine unglaublich spannende Art, sich selbst zu entdecken – und sowohl den Geist als auch den Körper herauszufordern. Es ist einfach ein sehr gesunder Lebensstil.

Doch um als Athletin in diesem Sport erfolgreich zu sein, braucht es enorme Hingabe. Der gesamte Prozess rund ums Tauchen – von der Vorbereitung über den Tauchgang bis hin zur Erholung danach – nimmt oft die Hälfte des Tages in Anspruch, obwohl der Tauchgang selbst nur wenige Minuten dauert. Das über Jahre hinweg zu wiederholen, hat definitiv seine Herausforderungen, ist aber auch etwas repetitiv.

Deshalb habe ich mich entschieden, einen digitalen Nomaden-Lifestyle zu führen. Ich habe das Glück, einen Online-Job zu haben, der es mir ermöglicht, zu reisen und mich mit verschiedenen Ländern und Aktivitäten auseinanderzusetzen. Es ist eine bewusste Entscheidung, die ich genieße. Aber wer weiß – vielleicht kehre ich irgendwann wieder ins Wettkampfgame zurück.

Jessea Lu

Wo treibst du dich denn momentan so rum?

Dieses Jahr war ich zum Beispiel im Januar in Kalifornien. Ich habe dort die Nationalparks erkundet, ein wenig getaucht und Zeit mit meinen chinesischen Freunden verbracht. Es war das erste Mal, dass ich wirklich in Kalifornien gelebt habe. Obwohl es nicht weit weg war und nicht besonders exotisch, war es dennoch eine sehr bereichernde Erfahrung.

Letztes Jahr habe ich einige Monate in Afrika verbracht, was mir besonders wegen der beeindruckenden Tierwelt sehr gefallen hat. Danach war ich mehrere Monate in Island und Vietnam und zwei Monate zu Hause, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Besonders die Zeit mit meinem Vater war etwas ganz Besonderes.

Den größten Teil des Jahres bin ich jedoch unterwegs, aber inzwischen mit einem langsameren Reisestil. Ich bleibe meistens etwa einen Monat an einem Ort, bevor ich weiterziehe. Diese Art des Reisens ermöglicht es mir, tiefer in die Orte und Kulturen einzutauchen und wirklich Neues zu lernen.

Für eine Weile werde ich wohl so weitermachen. Aber irgendwann, wenn ich genug vom Reisen habe, werde ich wahrscheinlich eine Phase haben, in der ich mich an einem festen Ort niederlasse. Dann werde ich sicher auch wieder in Kontakt mit der Tauch-Community treten und an Events teilnehmen.

Tauchst du immer noch viel auf Reisen?

Ja, wann immer es geht. Ich tauche nach wie vor gern, aber entspannter. Ich genieße die Zeit im Wasser ohne Trainings- oder Wettkampfdruck. Ende 2024 war ich in Denver, wo es ein großartiges Unterwasser-Rugby-Team gibt und ich habe beim Unterwasser-Hockey mitgemacht.

Letzten Monat war ich in Kalifornien und bin mit Freunden im Kelpwald getaucht. Dabei haben wir Seeigel gesammelt, die die Kelpwälder zerstören. Ich liebe es, meine Nahrung selbst zu suchen. Wir haben köstliche Gerichte wie Seeigel-Pasta und Seeigel-Toast zubereitet.

In Hawaii gehe ich immer speerfischen, um frisches Essen aus dem Ozean zu holen. Früher musste ich alle drei Tage tauchen, um mich gut zu fühlen. Heute kann ich einen Monat ohne Tauchen auskommen und schätze andere Erlebnisse. Ich glaube, es geht um Ausgewogenheit und vielfältige Erfahrungen. Es ist spannend, Neues zu entdecken.

Vielen Dank für deine Offenheit und alles Gute! 

Jessea Lu 7 Beats per Minute

International Ocean Film Tour 2025: Tourstart und Termine

Am 24. Februar 2025 startet die OCEAN FILM TOUR Vol. 11 mit der großen Premiere in der Laeiszhalle Hamburg um 19:30 Uhr. Anschließend macht die Tour Halt in zahlreichen Städten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und weiteren europäischen Ländern.

Mehr Infos und Tickets gibt es hier! 

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