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Lifestyle

Mind Games | Warum Sportarten mit Adrenalinrausch die mentale Gesundheit positiv beeinflussen

Neue psychologische Studien legen nahe, dass sich beim Actionsport nicht alles um die Suche nach dem ultimativen Kick dreht...

Von Yashi Banymadhub

Titelbild: Wingsuiter Mike Swanson (Foto: Marcos Ferro)

Wenn du jemals beim Snowboarden mit feuchten Händen auf der Bergspitze kurz vor einem Drop-in gestanden oder beim Surfen zum Take-Off in eine große Welle angesetzt hast, dann weißt du, wie nervenaufreibend Actionsport in entscheidenden Momenten sein kann. Dann wirst du garantiert auch die überwältigende Euphorie kennen, die dich überkommt, nachdem man den letzten Schritt der Angstüberwindung gewagt hast.

Es ist keine Voraussetzung, etwas besonders gut zu können, um dieses Gefühl zu bekommen – Angst ist immer relativ. Es kann zum Beispiel für jemanden das Erlebnis des ersten Mountainbike-Trails seines Lebens sein oder aber für gestandene Profis der Weltrekord-Basejump vom Mount Everest.

„Actionsportler werden oft klischeehaft als Hedonisten bezeichnet, die ihr Leben nur für Adrenalin-Kicks aufs Spiel setzen. Diese Studie zeigt genau das Gegenteil…“

Bisher wurden diese Sportler gerne von der breiten Masse als leicht unterbelichtete Hedonisten abgestempelt. Für viele ist es unverständlich, wie man sein Leben aufs Spiel setzen kann, „nur“ um einen besonderen Kick zu erleben. Psychologen fanden heraus, dass Angst im Sport aber noch deutlich mehr als nur ein Reiz bedeutet. Dabei kann es einem Athleten helfen, seine alltäglichen Ängste zu minimieren und insgesamt vernünftiger sowie fokussierter zu handeln. Tatsächlich bewirkt Actionsport viele positive Effekte für die mentale Gesundheit und das allgemeine Wohlbefinden.

Was ist Angst?

Laut Dr. Tim Woodman, Vorsitzender der School of Sport, Health and Exercise Sciences an der Bangor Universität, ist Angst eine grundlegende Emotion, die uns eine unbestimmte Bedrohung signalisiert. Sie drückt eine natürliche körperliche Reaktion auf Stresssituationen aus, sozusagen eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion („fight-or-flight response“). Es entsteht ein Gefühl von Aufregung, weshalb viele von entsprechenden Disziplinen mit der Aussicht auf erhöhte Dopaminausschüttung magisch angezogen werden.

Wenn wir mit Ängsten konfrontiert werden, beschleunigt sich umgehend unser Herzschlag, der Körper produziert Schweiß und die Muskeln spannen sich an, als müsse man vor einer potentiellen Gefahr fliehen. Neue Untersuchungen zeigen jedoch, dass hinter dem unmittelbarem Kick mehr steckt.

Urban Explorer Kostenn in New York
Urban Explorer, so wie Kostenn, erklimmen absichtlich die Dächer von Städten. Foto: Kostenn

„Bis vor Kurzem galt es beinahe als anerkannte Tatsache, dass die betreffenden Athleten lediglich auf der Suche nach dem nächsten Kick sind“, erklärt Dr. Woodman.

Aber tatsächlich sei diese Annahme falsch, so Woodman. Das Streben nach einem temporären Hochgefühl sei nicht die einzige Motivation für die meisten Athleten dieser Sportarten. Und das Gefühl, etwas Neues erreicht zu haben, sei es ebenfalls nicht.

„Wenn man eine dieser Personen fragt: ‚Warum hast du das gemacht?‘, werden die meisten antworten: ‚um etwas zu schaffen, wovon ich vorher gedacht hätte, dass ich es nicht machen könnte.‘ [Aber] warum verleiht einem zum Beispiel das Stricken eines Pullovers dann keinen Kick?“ Stattdessen, sagt Dr. Woodman, umfasse der Reiz am Actionsport ein weitaus breiteres Spektrum – denn Angst löse noch viele weitere Effekte im Gehirn aus.

Die Irische Surferin Easkey Britton sagt, dass Angst ein bedeutsamer Lehrmeister sein kann. Wie man schwer auf dem Foto sehen kann. Foto: Easkey Britton

Dr. Woodmans Forschung hat gezeigt, dass der Ablauf der Angstbekämpfung einen positiven Effekt im Leben eines Athleten ausübt. Er beschreibt Actionsport als einen „Übungs- oder Trainingsplatz“ für die Realität. Aufkommende Angst bei der Arbeit oder im sozialen Umfeld wird dann reduzierter wahrgenommen.

Sein Team überwachte eine Gruppe von Abenteurern, während sie den Atlantischen Ozean mit einem Ruderboot überquerten. Das Experiment brachte eine vielfältige Bandbreite an Emotionen hervor; die bekannteste davon war Angst. Dazu fanden sie heraus, dass die Probanden im gewohnten Umfeld später besser mit ihren Ängsten umgehen konnten, nachdem sie derart extremen Bedingungen ausgesetzt waren.

Ruhe bewahren und sich den Ängsten stellen

Der positiven Effekte von regelmäßiger Belastung in angsteinflößenden Situationen ist sich Big Wave Surferin Easkey Britton sehr bewusst. Sie sagt: „Angst kann unser bester Lehrer sein! Sie ist vielmehr unser Begleiter und kein Dämon in großen Wellen.“ Easkey war die erste Frau in Irland, die eine 15 Fuß hohe Welle vor den berühmten Klippen von Moher surfte. Sie gewann die Britischen sowie Irischen Meisterschaften und war die erste Irin, die für den Billabong XXL Big Wave Surfing Award nominiert wurde.

Die Angst ermöglicht es Easkey, beim Big Wave Surfen ihr komplettes Vertrauen zu nutzen und zwingt sie gleichzeitig, ihren Glauben in harte Trainingsstunden zu stecken. Sie sagt, es sei ein „Akt totaler Selbstaufopferung“. In diesen Momenten müsse sie ihre inneren Kontrollmechanismen ausschalten und auf sich selbst und ihre Skills vertrauen.

„Surfen lehrt uns loszulassen, Ruhe zu bewahren und keine Panik zu bekommen, wenn wir unter einer Wasserlawine gewaschen werden. Dein Körper schreit dich nur noch an zu treten, zu kämpfen, sich zu wehren….”.

Es lehrt dich, Ruhe zu bewahren, wenn du unterhalb einer Wasserlawine gewaschen wirst und dein Körper dich anschreit zu treten, dich zu kämpfen, zu wehren…“

Angst bringt Easkey zurück ins Hier und Jetzt und hilft ihr, irrationale Ängste zu verstehen – beim Surfen und im richtigen Leben. Sie sieht es als einen ähnlichen Weg der Achtsamkeit. Sie sagt: „Als ich begann, mich auf die Frage „Was ist, wenn?“ zu fokussieren, wurden in meinem Kopf (falsche) Erwartungen geweckt, die man ausblenden muss mit Hilfe von Ausrichtung der Aufmerksamkeit; indem man Moment für Moment nimmt, um Platz zu schaffen für das, was nötig ist zum Entkommen.

Longboard-Champion Sam Bleakley betont die meditativen Effekte des Surfens. In seinem neuen Buch „Mindfulness and Surfing: Reflection for Saltwater Souls“ schreibt er, dass Surfen „ein schnelles Eintauchen in die Gegenwart ermöglicht, um negative Dinge in diesem Moment abzuschalten. Wenn ich auf eine Welle aufspringe, gelassen auf einem Surfboard stehe, fühle ich mich wie Fisch und Vogel zugleich. Zu jedem Anlass von Glückseligkeit und Furcht bin in der rauen See herangereift – eine ständige Lehre der Achtsamkeit“, philosophiert Bleakley.

Narthan Jones und seine Kollegen vom Projekt BASE springen vom Aguille du Midi in Chamonix. Foto: Projekt Base

Auch ein anderer Athlet, Nathan Jones, sieht Actionsport als eine spezielle Form der Meditation an. Er startete mit dem Basejumping 2010 im Alter von 24 Jahren. In diesem Sommer absolvierte er 250 Sprünge… Jetzt ist er Teil von Project: BASE, mit dem lokale Gemeinden durch Spendengelder unterstützt werden.

Nathan hat gerade eine Ausbildung im Wingsuiting abgeschlossen, was noch eine Stufe gefährlicher gilt als Basejumping. Er war der erste, der in seiner Wahlheimat Chamonix eine Line flog, die er „The Cheese Grater“ taufte, da man wie Käse gerieben wird, wenn man beim Fliegen an die Kabel kommen sollte. Er lernte durch solche Situationen Selbstvertrauen sowie Gelassenheit zu entwickeln und mehr in der Gegenwart zu leben, jeden Moment auszukosten.

„Viele glauben, wenn ich mit dem Wingsuit losziehe, dass ich einen großen Adrenalinrausch und einen Puls bis zum Anschlag bekomme. Aber eigentlich ist dieser Sport für mich fast wie Mediation in der Luft. Es ist ein beinahe beruhigendes Gefühl, weil man so konzentriert in diesem Augenblick verweilt. Dabei habe ich stets den klarsten Kopf.“ Er genieße das Leben als Extremsportler, „weil man in einen tollen Flow-Zustand kommen kann. In diesem Moment kommt kein anderer Gedanke auf und man ist glücklich mit dem, was man gerade macht -per Definition das „völlige Aufgehen im eigenen Tun“. Und ich denke, dass exakt das einen sehr positiven Effekt auf die Gesundheit hat”, betont er.

Nathan erzählt auch, dass Angstgefühl in einer Umgebung mit erhöhtem Risiko die Lebenseinstellung von Menschen positiv ändern kann und ihnen hilft, mit kleineren stressigen Situationen im Alltag besser fertig zu werden.

Zusätzlich sagt er: „Es macht das Leben im Hier und Jetzt sehr wertvoll und stoppt dich, in einem Gedankennetz aus Unsicherheit zu verharren”.

Sei smart, springe von einer Klippe

Die Vorstellung, dass Wingsuiting meditativ sein soll oder positive mentale Effekte hat, hört sich für die meisten Außenstehenden erst einmal sehr unglaubwürdig an. Statistisch gesehen ist es eine der gefährlichsten Sportarten, die man überhaupt aktiv betreiben kann. Eine 2012 veröffentlichte Studie der Universität von Colorado fand heraus, dass ein Springer im Durchschnitt bei jedem 500. Sprung eine schwerwiegende Verletzung erleidet, aber allzu oft enden schwere Verletzungen fatal.

Zu den Verunglückten zählt auch Ski-Legende Shane McConkey. Er bereitete sich mit Basejumps und Wingsuiting auf einen „Ski-Wingsuit-BASE“ vor – eine Spezialdisziplin, bei der man mit Skiern von Klippen springt, bevor man mit einem Wingsuit und schließlich mit einem Fallschirm weiterfliegt. Am 26. März 2009 starb McConkey in Italien, nachdem seine Skibindung steckenblieb und er in Rotation geriet, die ein Öffnen des Fallschirms verhinderte.

Aber trotz seiner nackten Backflips und den derben Streichen in “Saucer Boy”, war McConkey mehr als nur ein adrenalinsüchtiger Verrückter. In der 2013 erschienenen Dokumentation “Mc Conkey” von Red Bull wird er als genialer Geist, Innovator und Entdecker beschrieben.

„Wie viele Ärzte und Ingenieure sind auch diese Athleten hochintelligent und wissen genau, dass sie tot sind, wenn sie es vermasseln“, sagt Dr. Eric Brymer von der Leeds Beckett Universität, ein Spezialist der Sportpsychologie von Extremsport.

Nathan Jones bestätigt, dass Actionsport keine spontane Handlung ist. Man muss sich im Vorfeld viele Gedanken über einen Basejump machen, bevor man ihn tatsächlich ausführt.

Legendärer Freeski und BASE Jump Pioneer Shane McConkey vor seinem tragischen Tod vor einigen Jahren. Foto: Ulrich Grill/Red Bulll

Er sagt, dass die Gesellschaft weiterhin negativ über Adrenalin-Junkies reden wird. Aber es mache keinen Sinn, Athleten von Extremsport abzuhalten, da sie mehr Nerds als Adrenalin-Junkies sind.

„Zeit kann sich verlangsamen und man kann deutlicher sehen. Ein Basejumper konnte alle Farben, Spalten und Ecken in Felsen sehen, obwohl er mit 320km/h unterwegs war“

„Diese Aktivitäten führen zu positiven Erfahrungen und können die Zeit verlangsamen oder Emotionen im normalen Leben verstärken. Ich habe mit einem Basejumper gesprochen, der alle Farben, Spalten und Ecken in einem Felsen kannte, obwohl er mit 320 km/h unterwegs war“, berichtet Dr. Brymer.

Wir haben über Extremsport herausgefunden, dass Angst Informationen liefert, die im Leben unterstützen und zum Durchhalten befähigen. Denn die Tatsache, dass Angst dich nicht zurückhält, wirkt absolut befreiend.

Von der Angst lernen

Die Angst als “Information” zu behandeln, ist wie eine rationale Entscheidung. Das ist mit Sicherheit etwas, dass bei Profis im Actionsport verbreitet ist. Snowboarderin Jenny Jones, die eine Bronzemedaille bei den letzten Winterspielen in Sotschi gewann, benutzt ihre Angst bewusst, um einen Entscheidungsprozess anzustoßen.

Sie sagt, dass sie als erstes ihre Angst bewerte. Vielleicht ist sie nur nervös und aufgeregt vor einem großen Kicker? Oder vielleicht ängstlich, dass sie alle Gefühle in ihrem Körper verliert und nicht fähig ist, den Kicker zu springen und möglicherweise stürzt? Falls die Unsicherheit überwiegt, dann ist es wahrscheinlich noch zu früh, diesen Trick auszuprobieren und fährt stattdessen ein gewohntes Manöver.

“Ich denke technisch darüber nach, was ich machen werde und versuche es zu visualisieren. So schaffe ich es meistens, die Angst zu überwältigen. Das Visualisieren eines Tricks hilft mir, jeden einzelnen Step im Kopf zu wiederholen und auf dem Schnee später umzusetzen”, erklärt sie.

Kurz gesagt, es ist nie eine Frage, ob man über einen Kicker springt und sich dann verletzt. Actionsport hat mehr mit Risikoabschätzung zu tun als mit blindem Optimismus.

„Es ist ein Irrtum, dass Menschen diesen Sport nur ausüben, um dafür belohnt zu werden“, sagt Wissenschaftler Dr. Woodman. Aber die Tatsache, dass Actionsportler ein hohes Strafempfinden (punishment sensitivity) haben, ist erwiesen, weil sie genau wissen, dass das schlimmste Szenario jederzeit eintreten kann.

Könnte ein Extremsportler also ein Rationalist sein, der ein Experte in der Informationsverarbeitung verschiedenster Quellen ist? Und dazu eine „nerdige“ Methode hat, um beruhigende und meditative Effekte bei seiner Lieblingsbeschäftigung zu erlangen? Das hört sich eher nach einer Beschreibung eines Schachspielers an als der eines Basejumpers, oder nicht?!

Natürlich bedeutet das auch nicht, dass durch die Angstbekämpfung ein Gefühl von Euphorie erzeugt wird. Jeder weiß, egal ob Profi oder Amateur, dass man sich freut, wenn man eine schwierige Herausforderung sicher und gut gemeistert hat. Aber wenn du Actionsport betreibst, passiert eben einiges mehr im Kopf als nur dieses Gefühl.

Snowboarderin Jenny Jones benutzt Angst als Information, um eine Entscheidung zu fällen, bevor sie einen riesigen Kicker wie hier in Serfaus springt. Foto: 9 Queens/Vanessa Andrieux

Alle Sportarten die eine positive Folgewirkung haben, beeinflussen die mentale Gesundheit und das Wohlbefinden. Egal, ob du einen neuen Griff beim Klettern lernst, mit Kitesurfing anfängst oder dich erstmals auf einen Biketrail zwagst. Es lohnt sich Herausforderungen anzunehmen, auch wenn sie im ersten Moment Angst einflößen können.

Denn vergiss nicht – die Angst ist dein Freund.

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