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Adventure

Packrafting in der Wildnis Tasmaniens

Andy Ebert und Christoph Michel kämpfen sich durch die Wildnis am Ende der Welt, um eine neue Route zum Gipfel des Federation Peak zu erschließen

Rückblick: In der Nacht gewittert es. Als wir frierend in unseren Schlafsäcken aufwachen, liegt die Temperatur bei knapp über null Grad. Noch wehren wir uns gegen den Gedanken, aber die Erkenntnis, dass unser großes Ziel in immer weitere Ferne rückt, macht sich breit. Allein der Anblick unserer klitschnassen Kleidung reicht aus, um uns einzugestehen, dass wir gescheitert sind. Noch vor dem Frühstück fällt die Entscheidung: Abbruch. Frustriert drücke ich den SOS-Knopf des Notsenders. Zwei Stunden später hängen wir an einem Seil unter dem Rettungshelikopter. Soll es das gewesen sein?

Zusammen mit meinem Bergpartner Christoph hatte ich mich in unser bisher größtes Abenteuer gestürzt: die Erstbegehung einer neuen Zustiegsroute zum Federation Peak in Tasmanien. Er liegt im Herzen des mit dichtem Urwald überwucherten Südwesten Tasmaniens. Normalerweise unternehmen Christoph und ich lediglich Mehrtages-Trekkingtouren in den Alpen, meist entlang wenig begangener Routen, oder gehen im Winter mit dem Zelt in die Berge. Vor fünf Jahren haben wir bei einer Trekkingtour entlang der Südküste Tasmaniens dann die New-River-Lagune entdeckt. Recherchen ergaben, dass der New River nur 31,5 Kilometer lang ist und am Fuße der 600 Meter hohen Südwand des Federation Peak entspringt. Von dort schlängelt er sich durch eine Hochebene, gefolgt von kilometerlangen wilden Schluchten, bevor er träge und sanft in die Lagune mündet. Eine Route, die bereits 1920 für erste Erkundungen des Berges in Erwägung gezogen, jedoch nie vollendet wurde. So entstand unser kühnes Projekt. Zwei ganz normale Stadtmenschen, die gerne in die Berge gehen, erkunden Neuland in unserer fast gänzlich erschlossenen Welt. Doch am Ende hatten wir zu wenig trainiert, waren mental zu schwach, nicht gut genug für das eisige Wetter ausgerüstet.

Der zweite Anlauf

Noch Wochen und Monate nach der Niederlage kreisen unsere Gedanken um das unvollendete Projekt. Die Liste der Verbesserungsmöglichkeiten wächst und wächst, schnell wird uns klar: Wir werden es wieder versuchen! Auf Grundlagentraining folgt Treppensteigen mit Kies in den Rucksäcken. Parallel dazu verschlanken wir die Ausrüstung um mehrere Kilo. Der Speiseplan wird durch Kohlenhydratpulver und leichtverdauliche Fette optimiert. Mehr Neoprenkleidung soll uns warm halten.

Kraftvoll brandet das Meer an die Südküste Tasmaniens. Ein Seeleopard liegt am Strand, die Sonne steht hoch am Himmel. Alles wirkt vertraut. In der Lagune werfen wir die 35 Kilo schweren Rucksäcke in unser Zweier-Packraft und ziehen es durchs seichte Wasser zur Mündung des New River. Bereits nach vier Kilometern Paddeln blockieren erste quer im Wasser liegende Bäume unser Vorankommen. Diesmal machen wir keine Anstalten, die Gerippe durch Bootausladen, Umheben und erneutes Beladen zu überwinden. Wir gehen gleich an Land und lassen die vom Fluss zu meterhohen Barrieren gestapelten Hindernisse links liegen. Im Vergleich zum ersten Versuch spurten wir durch diesen Abschnitt. Doch bald wechselt der märchenhafte Regenwald schlagartig in den berüchtigten «Horizontal Scrub», ein fast undurchdringliches Geflecht aus kreuz und quer wachsenden Ästen. Dieses Dickicht macht das Vorankommen neben dem Fluss fast unmöglich. Ab hier ist das Bett des New Rivers unsere einzige Chance, von Südosten her an den Federation Peak heranzukommen.

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Als ich am nächsten Morgen erwache, hat es sieben Grad und es schüttet seit Stunden. Nachdem wir das Lager abgebaut und die Sachen in Trockenbeuteln verstaut haben, schieben und zerren wir das beladene Packraft gegen die Strömung flussauf. Nach anstrengenden vier Stunden und zweieinhalb Kilometern Strecke legen wir eine Pause ein. Während wir Suppe kochen wird der kleine Sandstreifen, auf dem wir lagern, zusehends kleiner. Eine Stunde später ist das Wasser bereits um 15 Zentimeter gestiegen, die Fließgeschwindigkeit hat sich verdoppelt. Jetzt im Fluss voranzukommen ist aussichtslos. Wir nutzen den Nachmittag als willkommene Erholungspause.

Am darauf folgenden Morgen ist das Wasser zurückgegangen, trotzdem reicht es uns meist bis weit über die Hüfte, in Stromschnellen rauscht es uns sprudelnd entgegen. Oft stoßen wir unsere Schienbeine an den großen, unsichtbar im tiefbraunen Wasser liegenden Flusssteinen. Es ist äußerst mühsam, aber wir können im Fluss bleiben und machen Strecke. Bald erreichen wir die Ausläufer der Berge. Das Gefälle nimmt zu, wir packen das Boot ein und bewegen uns über große Felsblöcke kraxelnd weiter.

Gegen Mittag erreichen wir die erste tiefe Klamm, den fulminanten Einstieg in den acht Kilometer langen Mittelteil unserer Expedition. Schäumend presst sich der Fluss zwischen den Felsen hindurch. Um uns herum rauscht es, die überhängenden Felswände werfen das laute Tosen hin und her. Über einen überspülten Felsrücken robben wir voran, um mit einem Sprung über den wildesten Abschnitt in den Strömungsschatten eines großen Felsens zu kommen. Die Rucksäcke ziehen wir am Seil hinterher. Über glitschigen Fels bouldernd, erreichen wir einen ruhigeren Pool, den wir mit dem Packraft befahren können. Danach folgen zwei Wasserfälle, an denen wir das Gepäck ausladen, das Boot umheben und wieder beladen. Schwimmend befreien wir uns letztlich aus dem Sog der Klamm.

Das Terrain uns verlangt alles ab

Über die Jahrtausende hat sich der Fluss tief in das Gestein gegraben. Riesige Felsblöcke im Fluss zeugen vom stetigen Wandel der geologischen Strukturen. Einige können wir umgehen, andere überklettern wir, wieder andere zwingen uns zu einer Querung des Flusses. Angeschwemmte Baumstämme dienen uns als willkommene Brücken. Das Packraft kommt in tiefen Pools zum Einsatz. Meist jedoch nur für eine oder zwei kurze Überfahrten. Die anschließende Kletterei ist meist zu schwierig, um das Boot mitzuschleppen. Also Luft ablassen, Paddel auseinanderbauen und im Rucksack verstauen – nur um ein paar Minuten später alles wieder aufzubauen. In diesem Terrain kommen wir nur langsam voran, mehr als zwei, drei Kilometer am Tag sind nicht drin. Und jeder Schritt will mit Bedacht gesetzt werden, meist ist der Untergrund glitschig, wie mit Schmierseife überzogen. Gehen, Kriechen, Krabbeln, Waten, Paddeln, Balancieren, Bouldern, Rutschen, Springen – das Terrain verlangt das volle Programm der Fortbewegung. Und das alles in einer fabelhaften, abgeschiedenen Welt aus wild wuchernden Bäumen und viel Moos und Algen auf den in Weiß, Rosa, Lila oder Grün schillernden Quarzfelsen. Und im Zentrum der Fluss, mal hellbraun schäumend und laut tosend, ein paar Meter weiter tiefschwarz und träge dahinfließend. Ein wenig unheimlich, aber unheimlich schön.

Der tägliche Wetterbericht ermahnt uns jede Stunde zu nutzen, um vor dem angesagten Starkregen aus der Schlucht und an den Rand der Hochebene zu kommen. Falls der Fluss weiter anschwillt, sitzen wir schnell fest. Im Kampf gegen die Zeit arbeiten wir uns täglich 12 bis 14 Stunden durch Klammen und Canyons. Abends sind wir stehend k. o. – aber wir kommen gut voran. Doch es dauert nicht lang bis zum nächsten Dämpfer. Die Nachttemperatur geht auf sechs Grad zurück, tagsüber ist es nicht viel wärmer. Durchfall plagt mich, Blutegel versuchen mich anzuzapfen, ich fühle mich schwach, fröstele. Und der Regen wird stärker. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der New River anschwillt. Doch irgendwie schaffen wir es bis zur letzten Klamm und hindurch. Während der folgenden Mittagsrast sinkt die Temperatur auf fünf Grad, auch heiße Suppe vermag uns nicht aufzuwärmen. Hagel prasselt vom Himmel. Ein zorniges Aufbäumen der Natur? Ein weiterer Versuch, uns von unserem Vorhaben abzubringen? Egal, wir schlüpfen wieder in die nasskalten Klamotten und schnüren die triefend nassen Stiefel…

Abends schlagen wir unser Camp beim Lagerplatz 11 des ersten Versuchs auf. Diesmal ist es Tag 7. Wir kommen super voran, auch wenn die Elemente wiedermal gegen uns sind. Mitten in der Nacht schrecken wir auf – es rauscht unter unseren Hängematten! Durch den Regen ist der New River um einen Meter angeschwollen und über die Ufer getreten. Mit den nackten Füssen im eiskalten Wasser retten wir unsere Ausrüstung. Wir schlafen kaum, frieren und fühlen uns am Morgen wie vom Zug überfahren.

Nach zwei Ruhetagen stehen die letzten fünfeinhalb Flusskilometer durch die dicht bewachsene Hochebene zum Lake Geeves an. Neuland, nicht nur für uns. In diesem Talkessel war bisher überhaupt nur eine Handvoll von Menschen, verteilt über die letzten hundert Jahre. Bald verlassen wir den total verholzten New River. Aber auch daneben macht uns das dichte Unterholz das Vorankommen zur Qual. Alle halbe Meter müssen wir zähes Geäst wegdrücken, um uns gebückt durch ein Loch im Dickicht zu zwängen. Meist laufen wir dabei gar nicht auf dem Waldboden, sondern balancieren meterhoch darüber, auf von Moos überzogenen Baumstämmen. Auf diese Weise machen wir etwa 180 Meter pro Stunde – und sind sehr zufrieden damit! Bei Sonnenschein und Wärme und voller Zuversicht passieren wir am frühen Nachmittag den Ort, an dem wir beim ersten Versuch gerettet wurden. Kurz darauf ist es dann so weit: Wir sehen zum ersten Mal den Federation Peak.

Finale Etappe zum Gipfel des Federation Peak

Meter für Meter kämpfen wir uns weitere zwei Tage durch die grüne Hölle. Oft krabbeln wir auf allen vieren, nähern uns kriechend wie Pilger dem heiligen Berg. Irgendwann erreichen wir eine Reihe von kurzen Abschnitten mit niedrigerem Bewuchs, die wir mithilfe von ausgedruckten Satellitenaufnahmen ansteuern. Stellenweise können wir für fünf oder zehn Meter in hohem Gras gehen. Aufrecht gehen, was für ein Gefühl! Und dann endlich, am zwölften Tag: zwischen den Bäumen erblicken wir das glitzernde Wasser des Lake Geeves. Jubelnd vor Freude torkeln wir die letzten Meter bis ans Ufer. Ruhig und tiefdunkelblau liegt uns der See zu Füssen, völlig unberührt. Direkt dahinter erhebt sich die fast senkrechte Felswand hoch zum Gipfel des Federation Peak.

Während wir für anderthalb Tage am Ufer des Sees lagern und Kraft für die letzte Schlüsselstelle sammeln, gehen unsere Blicke immer wieder zum Steilhang am westlichen Seeufer. Dort soll es laut Karte eine steile Rinne geben, die sich über 500 Höhenmeter bis hoch zum Grat des Gebirgszugs zieht. Plötzlich sind wir uns unserer Sache nicht mehr so sicher. Wir sprechen wenig und essen nach Zeitplan unsere Rationen. Noch trauen wir uns nicht an die Reserven, auch wenn unsere Körper schon recht ausgezehrt sind und der Schlafsack nicht mehr so richtig wärmt. Nachts mache ich stündlich Kraftübungen, um nicht zu frieren.

Mit weichen Knien und flauem Magen begeben wir uns in den ersten Hang. Überraschenderweise ist die Vegetation vergleichsweise licht. Nach nur einer Stunde sind wir bereits 150 Höhenmeter über dem See und steigen in die steile Rinne ein. Christoph steigt fast alles voraus, getrieben davon, eine gangbare Route zu finden und damit die Unsicherheit durch das Schaffen von Fakten zu verdrängen. Teilweise ist das Gelände nahezu senkrecht. Wir klettern an Wurzeln und Ästen hangelnd nach oben. Nach einer weiteren Stunde realisieren wir, dass die Schlüsselstelle hinter uns liegt und wir uns auf der Zielgeraden befinden. Die Sonne kommt heraus und strahlt in den umherwabernden Dunst hinein. Alles glitzert und unter uns spannt sich ein Regenbogen. Dann hört die Vegetation schlagartig auf und wir eilen über Gras und Schotter die letzten Höhenmeter bergan. Total durchnässt, verdreckt und überglücklich erreichen wir nach gerade einmal sechs Stunden den grasigen Sattel am Hanging Lake und mit dem dortigen Wegenetz unser lang ersehntes Ziel: die Vollendung der direkten Linie von der New River Lagune zum Federation Peak! Wir spüren pure Erleichterung und können es kaum fassen, dass es geschafft und vorbei ist. Eine riesige Last fällt von uns ab. Unser mehr als drei Jahre dauerndes Projekt geht zu Ende. Unzählige Monate des Planens, Bangens und Hoffens. All die Anstrengungen des Trainings. Die Niedergeschlagenheit nach dem gescheiterten Versuch und die Besorgnis, nochmals zu scheitern. Letztlich hat es sich gelohnt an uns und unser Vorhaben geglaubt und all die mentalen und physischen Hindernisse überwunden zu haben.

Die Besteigung des Federation Peak am folgenden Tag ist für uns nur noch Kür, wenn auch eine besonders eindrucksvolle. In leichter, aber sehr ausgesetzter Kletterei steigen wir über die Normalroute auf den Gipfel. Das Wetter meint es gut mit uns und wir können große Teile von Tasmaniens Südwesten überblicken. Im Süden glitzert die Lagune, davor viel Dunkelgrün in den unterschiedlichsten Schattierungen. Von hier oben ist nichts auszumachen von all den fantastischen Orten, die uns die letzten Tage in Atem gehalten haben. Und direkt unter uns liegt still der Lake Geeves. Einsam und wie unberührt.

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