Rückblick: In der Nacht gewittert es. Als wir frierend in unseren Schlafsäcken aufwachen, liegt die Temperatur bei knapp über null Grad. Noch wehren wir uns gegen den Gedanken, aber die Erkenntnis, dass unser großes Ziel in immer weitere Ferne rückt, macht sich breit. Allein der Anblick unserer klitschnassen Kleidung reicht aus, um uns einzugestehen, dass wir gescheitert sind. Noch vor dem Frühstück fällt die Entscheidung: Abbruch. Frustriert drücke ich den SOS-Knopf des Notsenders. Zwei Stunden später hängen wir an einem Seil unter dem Rettungshelikopter. Soll es das gewesen sein?
Zusammen mit meinem Bergpartner Christoph hatte ich mich in unser bisher größtes Abenteuer gestürzt: die Erstbegehung einer neuen Zustiegsroute zum Federation Peak in Tasmanien. Er liegt im Herzen des mit dichtem Urwald überwucherten Südwesten Tasmaniens. Normalerweise unternehmen Christoph und ich lediglich Mehrtages-Trekkingtouren in den Alpen, meist entlang wenig begangener Routen, oder gehen im Winter mit dem Zelt in die Berge. Vor fünf Jahren haben wir bei einer Trekkingtour entlang der Südküste Tasmaniens dann die New-River-Lagune entdeckt. Recherchen ergaben, dass der New River nur 31,5 Kilometer lang ist und am Fuße der 600 Meter hohen Südwand des Federation Peak entspringt. Von dort schlängelt er sich durch eine Hochebene, gefolgt von kilometerlangen wilden Schluchten, bevor er träge und sanft in die Lagune mündet. Eine Route, die bereits 1920 für erste Erkundungen des Berges in Erwägung gezogen, jedoch nie vollendet wurde. So entstand unser kühnes Projekt. Zwei ganz normale Stadtmenschen, die gerne in die Berge gehen, erkunden Neuland in unserer fast gänzlich erschlossenen Welt. Doch am Ende hatten wir zu wenig trainiert, waren mental zu schwach, nicht gut genug für das eisige Wetter ausgerüstet.
Der zweite Anlauf
Noch Wochen und Monate nach der Niederlage kreisen unsere Gedanken um das unvollendete Projekt. Die Liste der Verbesserungsmöglichkeiten wächst und wächst, schnell wird uns klar: Wir werden es wieder versuchen! Auf Grundlagentraining folgt Treppensteigen mit Kies in den Rucksäcken. Parallel dazu verschlanken wir die Ausrüstung um mehrere Kilo. Der Speiseplan wird durch Kohlenhydratpulver und leichtverdauliche Fette optimiert. Mehr Neoprenkleidung soll uns warm halten.
Kraftvoll brandet das Meer an die Südküste Tasmaniens. Ein Seeleopard liegt am Strand, die Sonne steht hoch am Himmel. Alles wirkt vertraut. In der Lagune werfen wir die 35 Kilo schweren Rucksäcke in unser Zweier-Packraft und ziehen es durchs seichte Wasser zur Mündung des New River. Bereits nach vier Kilometern Paddeln blockieren erste quer im Wasser liegende Bäume unser Vorankommen. Diesmal machen wir keine Anstalten, die Gerippe durch Bootausladen, Umheben und erneutes Beladen zu überwinden. Wir gehen gleich an Land und lassen die vom Fluss zu meterhohen Barrieren gestapelten Hindernisse links liegen. Im Vergleich zum ersten Versuch spurten wir durch diesen Abschnitt. Doch bald wechselt der märchenhafte Regenwald schlagartig in den berüchtigten «Horizontal Scrub», ein fast undurchdringliches Geflecht aus kreuz und quer wachsenden Ästen. Dieses Dickicht macht das Vorankommen neben dem Fluss fast unmöglich. Ab hier ist das Bett des New Rivers unsere einzige Chance, von Südosten her an den Federation Peak heranzukommen.