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Tony Hawk im Interview | Warum der Birdman nach all den Jahren immer noch hoch fliegt

Foto: Harvey Mills

Von James Renhard

Wir warten vor einem unscheinbaren Nebengebäude auf einem Bauernhof in Somerset, dessen Eingang mit einem Bauzaun vor der Öffentlichkeit abgeschirmt wird. Es erscheint wie ein etwas seltsamer Ort, um einen echten Superstar zu beherbergen, aber irgendwo im Inneren empfängt uns gleich Tony Hawk.

Der Mann ist weit mehr als nur ein Skateboarder, sogar mehr als nur irgendein prominenter Sportler. Der 47-jährige Kalifornier ist eine Legende – ein Wort, das allzu oft leichtfertig verwendet wird, aber bei Tony ist die Bezeichnung durchaus angebracht.

Wie niemand sonst im Bereich Action Sports repräsentiert er seine Sportart nicht nur, sondern steht als Synonym dafür. Er reiht sich ein in die Riege von Muhammad Ali, Usain Bolt und Diego Maradona.

Nach angenehm kurzer Wartezeit in der milden Wärme eines britischen Sommertages tritt eine Gruppe von Menschen aus dem zum Medienbüro umfunktionierten Bauernhaus, wir sind dran. Es wartet der Birdman himself auf uns.

Wir versuchen, die Art von kindlicher Begeisterung im Moment vor dem Öffnen der Weihnachtsgeschenke nicht direkt zum Einstieg zur Schau zu tragen. „Mir geht’s ziemlich gut, danke“, antwortet er etwas müde auf unseren Opener. „Na ja, es läuft schon Non-Stop heute.“

Hawks Leben gleicht einer nahezu ununterbrochenen Parade von Auftritten in den Medien, Business-Meetings, PR-Auftritten und natürlich Skateboarding. Und obwohl ihn viele der Verpflichtungen vom Skaten fernhalten, macht er alles mit. Es ist der Preis, den er zahlt, für das Vordringen seines Sports in den Mainstream.

„Ich bin hier um 9:30 Uhr heute angekommen, dann folgten direkt ein paar Shots für die Presse an der Rampe, um jetzt hier einige Interviews und ein paar Autogramme zu geben. Im Anschluss wird das Meet-and-Greet stattfinden und in knapp einer Stunde eröffne ich hier eine Ausstellung. Morgen geht es nach Dänemark, wo das Spiel von vorne beginnt“, beschreibt er seine Termine mit einem leicht schiefen Lächeln.

Der Werdegang einer Legende

Natürlich war sein Leben nicht immer derart hektisch. Es begann im Alter von neun Jahren auf einem Board, als sein älterer Bruder ihm dessen ramponiertes Deck aus Fiberglas überließ.

Es sollte beim jungen Hawk von jenen ersten Tagen in der Einfahrt des Elternhauses nicht lange dauern, rasant Fortschritte zu machen. Als Zwölfjähriger dominierte Tony bereits die Amateur Contests in seiner Heimat Kalifornien, wo die Konkurrenz bekanntlich nicht gerade überschaubar war. Den Fakt muss man erst einmal kurz sacken lassen. Was haben wir nochmal in dem Alter so gerissen?

Mit 14 hatte er den Sprung zum Pro geschafft und war Teil der Bones Brigade – der elitären Gruppe von Skatern mit klangvollen Namen wie Steve Caballero, Rodney Mullen, Mike McGill und Lance Mountain. Diese fünf Fahrer veränderten ihren Sport mehr als sonst jemand vorher oder nachher.

Nur zwei Jahre später galt er weithin als der beste Skateboarder der Welt. Mit 25 hatte er 73 der 103 Contests auf professioneller Ebene gewonnen, auf dem zweiten Platz landete er weitere 19 Mal.

Die Bones Brigade, insbesondere aber Hawk, beherrschte nicht nur die Wettbewerbe, sondern, wie Lance Mountain einmal sagte, “leistete Pionierarbeit, wie man mit dem Skaten Geld verdienen konnte”.

Der konstante Erfolg bedeutete, dass sich zahlreiche Sponsoring-Möglichkeiten eröffneten. Doch als Tonys Stern nicht nur aufging, sondern schnell ganz andere Sphären im Mainstream erreichte, begannen die ablehnenden Stimmen aus der Welt der Skater lauter zu werden. Hawk wurde lauthals Sellout vorgeworfen.

Nachdem Vater Frank Hawk die National Skateboarding Association (NSA) 1983 gegründet hatte, wurden Anschuldigungen einer Bevorteilung des Sohnes seitens der Judges hervorgebracht. Urgestein und Z-Boy Tony Alva beschreibt die Zeit sogar als so hart, dass die Leute sprichwörtlich auf Tony Hawk spuckten.

Der Gegenwind aus der Szene spornte ihn jedoch nur weiter an in seiner Entschlossenheit, der beste Skateboarder zu werden, der er sein könnte.

1995 bedeutete das Aufkommen der X Games, Skateboarding weiter in den Mainstream zu treiben. Das jährliche TV-Ereignis sollte Hawk letztlich zu einem Weltstar machen.

Bei den X Games 1999, während des Best Trick Contests, landete er seinen berühmten 900. Glücklicherweise fiel der never-been-done Trick fast zeitgleich mit dem Release eines gewissen Videospiels namens „Tony Hawk’s Pro Skater“ zusammen, welches das dritterfolgreichste Game aller Zeiten wurde.

Tony Hawk war mehr als nur ein Skateboarder geworden. Er war sogar mehr noch als nur der Skateboarder schlechthin. Er entwickelte sich zu einer globalen Ikone. Als gutmütiger, medienfreundlicher Saubermann der amerikanische Traum für die Vermarktung, währenddessen zeigte er aber immer noch Tricks, die niemand sonst auf der Welt landen konnte – Stoff für Legenden.

Der olympische Traum

Während eines Interviews mit dem Veteran der US-Talkmaster, Larry King, zeigte sich Hawk als Verfechter von Skateboarding bei Olympia. „Ich mische mich in die Gespräche ein“, beschreibt er seine derzeitige Rolle bezüglich der Spiele in Tokio 2020, „aber um ehrlich zu sein, glaube ich fest an einen Platz der Sportart dort – mit oder ohne meine Unterstützung”.

Sollte Skateboarden als Subkultur im Kern überhaupt bei Olympischen Spielen stattfinden?

Es ist eine schwierige Frage, aber eine, auf die Tony natürlich eine Antwort parat hat. Aus seiner Sicht brauche Olympia Skateboarden mehr als das Skateboarden Olympia.

“Skaten ist populärer als die meisten Sportarten bei Olympia, sowohl hinsichtlich der Fans als auch der Begeisterung”, argumentiert er. “Und sie [das IOC] brauchen die Energie der Jugend, die etwa Snowboarding den Olympischen Winterspielen gebracht hat, dringend für die Spiele im Sommer.”

“Etwas Vergleichbares gibt es einfach nicht. Sie verlieren Zuschauer, demnäch würde unser Sport genau diese Lücke füllen und gleichzeitig globale Aufmerksamkeit in Ländern erzeugen, die Skateboarden nie wirklich erreicht hat.”

Sie hätten ihre Story sowieso aus ihrer Sicht erzählt. Es kam alles sehr manipulativ rüber.

Hawks Enthusiasmus für eine Teilnahme wird deutlich, aber viel weiter geht sein Bestreben dann doch nicht, als er meint, „wie gesagt, es könnte passieren oder halt eben nicht. Ich werde dazu nicht groß Lobbyarbeit betreiben“.

Die Wahl für einen olympischen Wettbewerb würde wohl auf Vert treffen, doch Kritiker behaupten, die beste Zeit dafür sei vorbei. Wäre Street als publikumswirksamere Disziplin nicht erfolgreicher bei Sommerspielen?

“Das hätte ich vielleicht vor zehn Jahren gesagt”, meint Hawk dazu, “aber ich denke, heutzutage gibt es eine völlig neue Generation von Skatern und eine Akzeptanz von All-Terrain Skating”. Er zieht Birdhouse-Teamrider Aaron ‘Jaws’ Homoki heran, um seine Aussage zu untermauern. “Jaws“ ist das perfekte Beispiel. Er kann einen McTwist, genauso packt er härteste Street-Tricks aus. Es gibt für die verschiedenen Skills Wertschätzung der breiten Masse.”

All This Mayhem

Zurück zu ihm: 2014 streute das Release der Skateboarding Dokumentation All This Mayhem Salz in alte Wunden. Der Film dreht sich um die Story der australischen Brüder Tas und Ben Pappas, die während der späten 90er Jahre ihre von persönlicher Ablehnung gegenüber Tony geprägten Rivalität an der Weltspitze ausdrückten.

Der Film übte scharfe Kritik an Hawk, alte Vorwürfe, er habe seine Position damals genutzt, um Ergebnisse bei Contests zu beeinflussen, wurden aufgefrischt.

Als er vor der Produktion nach einem Auftritt in der Doku gefragt worden war, hatte Hawk dankend abgelehnt, wodurch das Bild von ihm sicherlich nicht positiver gezeichnet wurde.

“Nein”, antwortet er, ohne eine Sekunde zu zögern. “Sie hätten die Story sowieso aus ihrer Sicht erzählt, und ich bin davon überzeugt, dass sie Aussagen von mir so geschnitten hätten, wie es ihnen gerade in die Argumentation passt. Es kam im Nachhinein alles sehr manipulativ rüber. Daher bereue ich nichts.“

Seit der Veröffentlichung hatte sich Hawk schmallippig gezeigt, sobald das Thema zutage kam. Abgesehen von einem Interview mit Transworld Skateboarding äußert er sich erstmals etwas detaillierter, ein Indiz dafür, dass ihn die Sache persönlich offensichtlich sehr beschäftigt haben muss.

“Ich finde die Story insgesamt viel zu tragisch aufgebaut. Mein Part – oder was auch immer sie aus mir darin gemacht haben – erscheint derart trivial verglichen mit diesen wahren Tragödien, der thematisierten menschlichen Verluste (Ben Pappas soll seine damalige Freundin ermordet und dann Selbstmord begangen haben – d. Red.) und Dingen, die einfach tiefgreifender sind als ein Manöver mit dem Skateboard oder irgendwelche Contests.”

Hawk ist spürbar bedacht, die Ruhe zu bewahren: „Ich habe nicht das Gefühl, als wäre es so wichtig, die Sache richtig zu stellen, weil es einfach nur … warum? Wenn das die Geschichte ist, die sie wollen, wenn das die Story ist, die er [ Tas Pappas ] glaubt…“

Das Interview wird in dem Moment unterbrochen von einem Tippen auf meiner Schulter – unsere Zeit mit Tony kommt zum Ende, aber nicht, bevor er noch abschließend hinzufügt, „ich glaube, es ist das, was er denkt, was passiert ist … es entspricht nur nicht der Wahrheit.“

Die letzten Worte der Skate-Legende hängen ein paar Sekunden in der Luft. Wir merken, dass es wohl noch einiges zu erzählen gäbe zu der Geschichte, aber heute wird das nicht sein.

Die Legende

Vielleicht fasst es Tas Pappas selbst am Anfang von All This Mayhem am besten zusammen mit den Worten: “Es gibt immer drei Versionen einer Geschichte: meine, deine und die Wahrheit”.

Mit Tonys Sätzen in den Ohren treten wir nach der Verabschiedung draußen in die grelle Nachmittagssonne. Wir fragen uns, da wir nach dem Interview mit Tas Pappas nun beide Seiten gehört haben, ob wir der Wahrheit einen Schritt näher gekommen sind?

Es gibt immer drei Versionen einer Geschichte: meine, deine und die Wahrheit.

Beim Verlassen des Geländes bemerken wir Dutzende von Fans, die mittlerweile Schlange stehen für das Meet-and-Greet, das Tony Hawk erwähnt hatte. Menschen aller Altersgruppen harren aus mit Hüllen von Videospielen bis zu Plakaten, von Decks bis zu Zeitschriften – alle warten auf ihr Intermezzo mit ‚Skateboardings biggest icon‘.

Ihre offensichtliche Begeisterung lässt uns darüber nachdenken, ob ihnen die negativen Seiten einer jahrzehntelangen Schlammschlacht, Kritik und Vorwürfen aus der Szene, die Tony Hawk auf seinem Werdegang begegneten, nichts ausmachen. Oder vielleicht spielt die Kritik für sie einfach auch überhaupt keine Rolle. Letztlich ist alles wohl auch nur ein Teil der Legende.

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