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Snowboard

Im Interview mit DAV Experte Stefan Winter zum Thema Lawinen

Der Film „To The Hills & Back“, der auf der diesjährigen Banff Centre Mountain Film Festival World Tour 2023 gezeigt wird, ist sicherlich kein klassischer Skifilm, der zum nachmachen animiert.

Das Gegenteil ist der Fall. Der Film lässt neben dem erfahrenen Bergführer und seiner Tochter noch Adam Campbell und Katie Combaluzier zu Wort kommen. Sie beide haben beim Skitourengehen in Kanada und Frankreich Lawinenunglücke mit schwerwiegenden Folgen erlebt. Die traumatischen Erlebnisse tragen sie bis heute mit sich und auch uns ging der Film wirklich sehr nahe.


Lawinen sind unsere ständigen Begleiter in den Bergen und wir haben Stefan Winter getroffen, der beim DAV als Ressortleiter Sportentwicklung tätig ist und als ausgebildeter Bergführer viel Zeit in den Bergen verbracht hat und die Gefahren kennt.

BANFF2023 Stefan Winter

Das Thema Klimawandel und Lawinen wird gerade durch die vielen Unglücke der letzten Wochen und den dubiosen Schneeverhältnissen immer wieder diskutiert. Gibt es tatsächlich mehr Lawinenunglücke wegen der klimatischen Veränderungen?

Nein. Es gibt defakto nicht mehr Lawinenabgänge oder Unglücke durch die Erwärmung. Die Lawinensituation insgesamt wird labiler, also wechselhafter. Wir werden Winter haben, die sehr schneearm sein werden und spezifische eigene Gefahren bringen und es wird Winter mit massivem Schneefall geben, die auch spezifische Gefahren mit sich bringen. Es wird nicht sein wie früher, wo man im Mittel konstant gute Winter hatte. Die Leute werden sich aber auch darauf einstellen und eben den Sport betreiben, der zu den gewissen Gegebenheiten möglich ist.
Unter 1800m wird es aber sicher schwierig für manche Skigebiete und die Schneearmut führt im Umkehrschluss auch zu weniger Lawinen.
Die Lawine an sich ist kein neues Phänomen und hat mit dem Klimawandel eigentlich nix zu tun. Die hat es schon immer gegeben. Der Klimawandel erzeugt aber sehr sprung- und wechselhafte Bedingungen.

Bei der Unfallreihe in Österreich kamen offensichtlich mehrere Faktoren zusammen. Wie genau konnte es dazu kommen?

Es gab eine klassische Nordwest-Wetterlage mit Tiefausläufer aus dem Atlantik mit feuchten Luftmassen, die zu viel Schneefall geführt haben. Dann gab es noch den perfekten Sturm um die 100 km/h Wind und das hat wirklich in einigen Teilen in den Ostalpen zu einer extremen Lawinengefahr geführt. Mit teilweise über einem Meter Neuschnee waren selbst Waldgebiete extrem gefährlich. An dem besagten Wochenende war dann das Wetter auch noch gut und dann ergibt sich ein „Klumpenrisiko“, was bedeutet, dass gewisse Hotspots entstehen, an denen viele Menschen aktiv sind. Egal ob Arlberg, Stubai oder im Allgäu – wenn viele Leute unterwegs sind, kann auch viel passieren.

Wie gehst Du als Bergführer mit dem Risiko um?

Es gibt Touren, bei denen das Risiko wirklich minimal ist, gerade im Frühjahr bei fest gesetzten Altschneedecke. In weitläufigem Gelände oder bei Mehrtagestouren gibt es natürlich immer Gefahren und wir als Bergführer versuchen das Restrisiko so nah wie möglich gegen Null zu bringen. Das ist die Kunst, die Gegebenheiten auszuloten und sich nicht von Störfaktoren wie beispielsweise Gruppendynamik oder den eigenen Ansprüchen aus dem Konzept bringen zu lassen. Das ist ein echt komplexes Szenario, was mental sehr fordernd ist. Voraussetzung dafür ist auch eine körperliche Fitness, denn wenn du schlapp bist, kannst du keine guten Entscheidungen treffen. Das wichtige ist eben eine gute Strategie und eine Transparenz auch gegenüber dem Gast.


Die Statistiken welche Altersgruppen am häufigsten in Lawinenunglücke involviert sind sagen, dass es nicht die „jungen Wilden“ zwischen 16-25 Jahren sind, sondern die älteren und größtenteils auch erfahreneren Ski/Snowboardfahrer:innen, die hier die größten Gefahren eingehen. Stimmt das in deinen Augen?

Statistiken sind in den Bergen wirklich schwierig zu bewerten, da es sich nicht um Laborbedingungen handelt, bei dem die Faktoren immer konstant sind. Dementsprechend ist es auch schwierig hier eine allgemein gültge Aussage treffen zu können. Was wir jedoch wissen ist, dass eine gute Ausbildung und kontinuierlicher Aufbau von Wissen die Fehlerrate enorm verringert.

Die Schutzausrüstungen, Lawinenairbags, LVS Gerät usw sind mittlerweile Standart in den Bergen. Was jedoch häufig fehlt, ist der geschulte Umgang damit. Ist das nicht eine trügerische Gefahr, dass man sich im Shop quasi „Sicherheit“ kauft und am Ende ein erhöhtes Risiko eingeht?

Wir vom DAV machen alle 10 Jahre eine große Skitourenstudie und da konnten wir feststellen, dass die Bereitschaft eine vollständige Lawinenausrüstung mitzunehmen deutlich gestiegen ist. Vor 20 Jahren hatte meist nur der Bergführer eine Schaufel und Sonde dabei. Dass mittlerweile jeder Sonde, Schaufel und LVS Gerät dabei hat, ist schon mal ein großer Erfolg und hilft die Überlebensquote zu steigern. Des weiteren können wir feststellen, dass viele Veranstalter von Touren gewisse Voraussetzungen fordern. Einige Alpenvereinssektionen sagen ganz klar, dass man nur nach Vorweisen von gewissen Kursen teilnehmen kann. Das nimmt massiv zu und fördert eben auch das Bewusstsein. Dennoch haben wir einige Leute, die noch unvorbereitet in die Berge gehen, aber auch da wird sich in den nächsten Jahren viel tun.

Die Zahl der Tourengeher nimmt massiv zu. Wie siehst du die Entwicklung?

Ja, das stimmt. Der Einstieg erfolgt zumeist in Skigebieten auf der Piste, ähnlich dem Klettern, bei dem man auch in der Halle anfängt. Natürlich ist das auch ein wenig dem Schneemangel geschuldet. Auf der Piste hat man sichere Bedingungen, was eigentlich gut ist, aber man verliert auch ein bisschen den Blick für das Gelände.
Früher war man natürlich auch mit viel mehr Angst und Demut unterwegs als heute. Das ist leider Fakt, dass heutzutage gerne mit dem Motto „was kostet die Welt“ versucht wird, alles möglich zu machen und so eben auch die trügerische Sicherheit in den Bergen.

 

Erstaunlich ist, dass wirklich viele Tourengeher keine guten Skifahrer sind und gerade abseits kann das wirklich gefährlich werden. Gerade wenn an steilen Stellen einfach abgerutscht wird und man so Andere in Gefahr bringt.

In einer Welt, in der alles möglich ist und viele Leute aktiv sind, gibt es natürlich immer Leute, die ausserhalb ihrer Komfortzone unterwegs sind. Aufgrund der Masse der Leute wird auch einfach alles sofort abgefahren, ohne eine Einschätzung der Gefahren. Viele Leute folgen den Spuren und wenn es hochalpin ist, dann kann das wirklich sehr gefährlich werden.

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Der Film „To The Hills & Back“ zeigt die Kehrseite des Tourengehens und soll auch als Appell dienen, nicht zu unvorsichtig zu sein. Wie oft hattest du schon eine brisante Situation oder einen Unfall?

Ich bin dem Tod in den Bergen tatsächlich schon 3mal nur knapp von der Schippe gesprungen. Zwar nicht auf Skitouren oder in Lawinen, aber dennoch habe ich eine große Demut den Bergen gegenüber.

BANFF2023 Stefan Winter

Wie hast du die Ereignisse miterlebt bzw welche Folgerung hast du daraus gezogen?

Ich hatte während des Absturzes eigentlich keine Angst, sondern habe die Situation ganz klar wahrgenommen. Es trat jedes mal danach ein Schock ein und obwohl es schon einige Jahre her ist, frage ich mich noch immer, wie es zu den Unfällen gekommen ist und vor allem warum. Teilweise war es sicher Pech, aber bei den anderen Unfällen war ich einfach sehr verkopft und auch mit dem Tod eines Freundes am Berg hätte ich damals Verantwortungsbewusster umgehen können.

Genau darauf geht der Film auch ein, da es für die Opfer ein Art der Therapie ist, die Geschehnisse nochmal aufzuarbeiten und zu verarbeiten.

Ja genau, die Protagonisten stellen sich in dem Film nochmal der Situation und deswegen ist es auch wirklich sehr emotional. Ich bin damals sehr schnell einfach wieder in die Berge und habe weitergemacht.


Die Lawine an sich ist am Ende ja nicht immer tödlich und so scheint es, dass viele Leute sich kalkuliert auf die Gefahr einlassen. Gerade Profis haben meist bei ihren riskanten Abfahrten eine Exitstrategie und schaffen es zum Teil auch der Lawine davonzufahren. Was im Umkehrschluss natürlich auch für andere Freerider verlockend wirkt und mit Sicherheitsausrüstung eine gefährliche Sicherheit bringt. Wie siehst du das?

Die These, dass Airbags zu größerer Riskiobereitschaft verleitet, ist bekannt. Wir haben aktuell eine große Studie beim DAV, wo das auch Teil der Fragestellung war. Es kann auf jeden Fall sein, dass die Leute mit Airbag eine andere Entscheidung treffen, als Leute ohne. Der Mindset wird auf jeden Fall beeinflusst, da wir uns durch gewisse Ausrüstung oder andere optische Eindrücke sicherer fühlen. Das ist eben auch Aufgabe von Bergführern und Tourguides, Trainern usw das zu thematisieren und die Leute langsam heranzuführen.

Lawinen

Im Idealfall bräuchte man eine Art Zertifikat, welches man vorweisen muss um eine Tour zu gehen. Aber das ist am Ende auch unrealistisch, oder?

Na ja, ich sag mal so. Für den Breitensportler wird das Netz immer engmaschiger, dass er in Kontakt mit Präventionsmaßnahmen kommt. Heute wird man im Radio, Internet und auch auf Schildern an Parkplätzen und auf Lehrpfade konstant darauf hingewiesen. Ich muss mich am Ende natürlich auch an Regeln halten, um nicht andere zu gefährden. Gebirge ist auch kein rechtsfreier Raum und das sollte man sich immer wieder klar machen ohne den Spirit des Sports zu verlieren.

Die Fehlerkorrektur ist bei dem Tourengehen noch nicht so verbreitet, wie beispielsweise beim Klettern. Woran liegt das aus deiner Sicht?

Das ist ein schwieriges Thema. Wir leben in der Zeit der Empörung. Durch die Politik und Medienwelt schaut man sehr argwöhnisch auf andere und deswegen hat es eine Fehlerkultur wirklich schwer. Es ist wichtig, bei offensichtlicher Gefährdung andere darauf hinzuweisen – das ist ganz klar. Es erfordert zwar Mut, da man die Gefahr eingeht jemand zornig zu machen, aber es wäre auf jeden Fall sehr gut, wenn man das forcieren könnte. Im Kletterbereich ist das schon vorhanden, aber beim Tourengehen eben noch nicht. Glücklicherweise ist die Kultur der Bergsportler geprägt von Fairness und Kameradschaft. Deswegen bin ich auch sehr positiv, wie sich die Zukunft des Tourengehens entwickelt wird.

BANFF2023 Stefan Winter

Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch und nun viel Spaß bei den Filmen der Banff Tour. Hier alle Termine & Tickets:


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