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Laird Hamilton im Interview | „Alles dreht sich um Selbstbewusstsein, Skills und Instinkte“

"Wenn man den Schritt ins Ungewisse wagt, kommt die Angst zum Vorschein...”

„Ich denke, ein gewisser Prozentsatz von uns besitzt einen Mechanismus, der es uns – im Interesse der Menschheit – ermöglicht, gegen all unsere Vorsicht handeln zu können. Wir aktivieren in Extremsituationen den gleichen Mechanismus, der eine menschliche Grundvoraussetzung für die Entwicklung unserer Spezies war.“

Der Mann hinter diesen Worten heißt Laird Hamilton, der bekannteste Big Wave Surfer aller Zeiten sowie Pionier in der Welt des Boardsports und darüber hinaus. Er sitzt mir gegenüber am Tisch eines unscheinbaren Cafés in Piha, dem kleinen Küstenort in Neuseeland.

“Es gibt keine Person, die bei etwas außergewöhnlich gut ist, aber ganz am Anfang nicht für möglich gehalten hat, auf dieses Level zu kommen…“

Laird hat seine hawaiianische Heimat verlassen, um den Pflichten als einer der Botschafter beim Ultimate Waterman nachzukommen; einem Contest mit dem Ziel, bei einer Serie von zermürbenden Herausforderungen den besten Allrounder unter ausgewählten Athleten aus dem Bereich Wassersport zu finden.

In Wahrheit ist Laird der Ultimate Waterman. Eine ganze Reihe von Disziplinen hat er selbst erfunden oder zumindest einer breiteren Masse zugänglich gemacht, von Stand-up Paddling über Foil Boarding bis hin zu Tow-in Surfing, wodurch erstmals ermöglicht wurde, Wellen jenseits von 20ft Höhe zu surfen.

Er hat es sogar mit 70ft hohen Wellen aufgenommen, als niemand außer ihm es für möglich gehalten hatte, und damit die Entwicklung des Big Wave Surfens grundlegend revolutioniert. Er hat immer wieder aufs Neue die Art und Weise geformt, in der Menschen sich der Macht des Ozeans stellen, dabei im Angesicht des völlig Unbekannten sein Leben oftmals riskiert. Und ihm ist bewusst, welch bahnbrechenden Einfluss das alles gehabt hat.

Laird Hamilton interview
Foto: Cory Scott/The Ultimate Waterman

So charismatisch und überzeugend er theoretisch ist, Lairds Eingangszitat mag wirklichkeitsfremd oder im schlechtesten Fall gar ziemlich narzisstisch klingen, aber die Überzeugung in seiner Stimme und die tiefe Zufriedenheit, die sein Charakter ausströmt, lassen ihn in der Realität alles andere als arrogant wirken. Vielmehr wirkt sein Auftreten im direkten Austausch absolut überzeugend und die gewichtigen Worte fesselnd.

Die normale Skala des Egos scheint einfach nicht für einen Mann zu gelten, der seit Jahrzehnten in seiner eigenen Welt der Neuerschaffung, Neugier, Versuchen, Irrtümern und Abenteuern lebt. Es ist eine Welt, in der nur sehr wenige Meinungen von außerhalb ausreichend Gewicht auf die Waage bringen. Und alles abseits des Mantras – Health, Innovation, Exploration – wird es nicht in die Nähe der Center Stage schaffen.

Es ist ein Bereich, in dem Angst eher in Form von tiefem Verständnis existiert, wo bei normalem Verhalten alle Alarmglocken läuten würden. Von außen betrachtet wirkt ein Blick hinein in diesen Kosmos absolut hypnotisierend.

“Ich behaupte immer, dass Menschen gefährliche Dinge nur auf drei Wegen machen; Angst, Ignoranz oder Ausblendung”, sagt er: “Jeder, der in solche Sportarten involviert ist, hat eine bestimmte Menge von allen dreien.

„Ich glaube, wenn man bewusst handelt und in der Lage ist, die Dinge wirklich beurteilen zu können, und es kommt zu einer gefährlichen Situation, dann sollte man zumindest ein wenig Angst verspüren. Unsere Instinkte werden angesprochen und die sind nunmal weitaus länger gegenwärtig, als das Spiel mit Wellen, Kites und Jet-Skis überhaupt existiert.

“Wenn man versteht und lernt, blendet man das Unbekannte aus. Wenn man nicht versteht und den Schritt ins Ungewisse wagt, kommt genau dann sehr viel Angst zum Vorschein“

“Aber die Angst ist da und man wird eingeschüchtert, weil man versteht, was gerade passiert; man respektiert, was da vor sich geht und du weißt, wie gefährlich die Situation eigentlich ist, in der du in dem Moment steckst.”

“Leute kreiden uns an, einfach „Adrenalinjunkies“ zu sein, weil sie realistisch nicht beurteilen können, dass dies eine Sache in uns selbst ist, die seit Millionen von Jahren zumindest unterschwellig vorhanden ist. Es kommt aus unserem tiefsten Inneren, was wir durch Adrenalin und die Dinge, die wir vollbringen, ausdrücken. Wir betreten diese Kernzone, und darum lieben wir es so.“


Laird Hamilton interview 5

Nie hat Laird dieses Verständnis deutlicher zum Ausdruck gebracht als in Teahupo’o im Jahr 2000, wo er ein Monster herausforderte, das später als Millenium Wave weltweit Berühmtheit erlangen sollte – und wodurch der Sport revolutioniert wurde.

Tow-in Surfing war noch ein relativ neues Phänomen zu dieser Zeit, verhöhnt von Kritikern, deren Argumente von Hamiltons unfassbarem Ritt pulverisiert wurden. Es war schlichtweg unmöglich, dass er oder irgendein anderer die Welle an diesem Tag ohne Tow-in hätte surfen können.

Als Laird die Leine losließ und auf dem Board in die Vertikale zog, türmte sich der Südpazifik als riesige blaue Wand hinter hinter ihm auf und brach mit unbeschreiblicher Wucht über dem rasiermesserscharfen Riff vor der Küste Tahitis. Eine mächtige Gischt schoss aus dem Inneren der Barrel und ließ den Surfer kurzzeitig komplett verschwinden. Sekunden später surfte Laird hinter dem massiven Foam Ball aus der Riesenwelle (Video unten).

Lairds Improvisation an diesem Tag, die hintere Hand – entgegen der gewohnten vorderen – zur Kontrolle in die Welle zu tauchen, um ein Aufsaugen durch den unverhältnismäßig heftigen Backwash zu vermeiden, galt seitdem als der bedeutsamste Ritt der Surfgeschichte, definierte völlig neu, was möglich sein kann.

Photo: Surfer Magazine
Foto: Surfer Magazine

Wenn es jemals einen Zeitpunkt für Angst gab, das war er. Niemand hatte je zuvor eine derart kraftvolle Welle in Angriff genommen. Es wurde damals betitelt als “the heaviest wave ever ridden”, prangte auf dem Cover des Surfer Magazine mit dem simplen Spruch “Oh my God…”, ein absoluter Gamechanger.

Er fährt fort: “Da drehte sich alles um Selbstbewusstsein. Den Glauben, es schaffen zu können. Vorher kannten wir Teahupo’o nicht. So eine Welle hatte wir noch nie zuvor gesehen. In meiner Welt, als ich noch ein Kind war, kannte ich jeden Surffilm und die besten Surfer der Welt, war später selbst Teil der Szene, aber solch eine Welle existierte nicht, und die Skills, so eine Welle surfen zu können, ebenfalls nicht.

“Irgendwoher hatte ich von Teahupo’o gehört und mir beim Anblick vorgestellt, dass ich imstande wäre, sie zu surfen. Und das war exakt der Punkt, an der der Glaube eine entscheidende Rolle spielt. Ich hatte diesen Traum, dass ich Teahupo’o surfen könnte in einer Art und Weise, die man sich vorher nicht im Detail ausmalen kann.

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Foto: Cory Scott/The Ultimate Waterman

“Teil des Ganzen ist die Fähigkeit, Dinge antizipieren und in den Bewegungsablauf spontan einbauen zu können. Wenn Leute etwas Innovatives machen, verfügen sie üblicherweise über dieses Vermögen, intuitiv zu verstehen, bevor sie etwas erkennt.

“Es geht um die ganze Nummer; „der Affe erkennt, der Affe handelt“. Es ist aber schon anders, der Affe zu sein, der nichts sieht, aber handelt, weil wir auf diesem Weg normalerweise nicht Neues erlernen.“

“Wenn man versteht und lernt, blendet man das Unbekannte aus. Wenn man nicht versteht und den Schritt ins Ungewisse wagt, kommt genau dann sehr viel Angst zum Vorschein.“

Laird Hamilton interview 2
Foto: Scott Sinton/The Ultimate Waterman

 

Er spricht schnell und selbstbewusst, ohne ins Stocken zu geraten, wenn es um philosophische Fragen geht; predigt eigens probierte und bewährte Theorien darüber, wie man das Leben in vollen Zügen auskostet. Sie klingen beim Zuhörer mehr als überzeugend.

Und doch stammen alle Prinzipien und Merkmale, die den Mann aus bescheidenen Verhältnissen heutzutage ausmachen, nicht durchweg aus positiven Erfahrungen.

Laird stürzte sich als gerade einmal Siebenjähriger von 20 Meter hohen Klippen ins Wasser. Seine unzähmbare, rücksichtslose Fixierung auf das Unbekannte ist tief verwurzelt, seine Widerstandsfähigkeit baute sich auch durch Diskriminierungen auf, die er früh erdulden musste als großer, hellhäutiger Junge mit blonden Haaren in Hawaii, wohin seine alleinerziehende Mutter auswanderte, als Laird noch ein Kleinkind war.

“Manchmal ahne ich gewisse Sachen. Ich erkenne das Potential, etwas anders zu machen…“

Er begründet viele Aspekte seiner trotzigen, aggressiven Natur auf diese Diskriminierung und gibt zu: „Meine Kindheit hat mich schon immer etwas isoliert als jemand, der anders ist. Daher kommt die Denkweise, ‚ok, wenn ich etwas Dummes tue und die Leute denken, dass es schlecht ist, ist es mir eigentlich egal, weil sie mich ja vorher schon nicht mochten, da ich anders als sie auf die Welt gekommen bin’“ .

„Ich glaube, ich hatte das Glück, Entmutigungen durch andere Menschen zu erfahren und daraus zu lernen. Ich rechne eine Menge der positiven Elemente meiner Mutter zu und der Fähigkeit, sich allen Widrigkeiten zum Trotz durchzusetzen und an sich zu glauben, obwohl andere Menschen das Gegenteil behaupten; diese Demütigungen als Treibstoff zu nutzen, anstatt sich runterziehen zu lassen.

Das ist es, woher die Bereitschaft zum Scheitern kommt, und nicht durch Gruppendruck oder von der Umsetzung eigener Ideen durch andere Menschen abgehalten zu werden, die bremsend einwirken.

Laird Hamilton interview 3

Ohne Zweifel kann man sagen, dass Laird ein paar großartige Ideen hatte. Von seinem ersten Foil Board, „dem wohl effizientesten aller Wege, Wellen zu reiten“, zur Popularisierung der Stand-up Paddleboards unter dem Gespött vieler Puristen der Surfgemeinde; Ähnliches gilt für das Kitesurfen vor der Küste von Hawaii im Jahr 1996.

Es endet aber nicht, wenn Hamilton aus dem Wasser an Land kommt. Lairds letzte Erfindung ist das „GolfBoard“, eine Mischung aus Buggy und Surfboard, mit dem man sich auf dem Golfkurs anders fortbewegen kann. Der Amerikaner war immer Innovator und gleichzeitig Athlet – wie er eingesteht, oftmals aus Notwendigkeit und Langeweile zugleich.

“Ich würde schon sagen, dass die meisten meiner Erfindungen aus ziemlich eigennützigen Motiven entstanden sind“, erzählt er lachend.

Meine Freunde nennen mich Contrarian, weil ich nie akzeptiert habe, dass die Dinge so bleiben müssen, wie sie sind. Ich habe eben dieses bereits erwähnte Vermögen, manchmal in der Lage sein, die Dinge zu sehen, bevor sie tatsächlich geschehen oder etwas einfach anders anzupacken. Vielleicht liegt es ja an meiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne. Nach einer Weile möchte ich immer irgendetwas Neues.“

Laird Hamilton interview 4

“Der große Thomas Edison hat einmal gesagt, dass man als Erfinder nur Vorstellungskraft und ein bisschen Gerümpel benötigt. Ich hatte viel Gerümpel. Als Kind habe ich mit kaputten Teilen von Boards der Erwachsenen gesurft oder von Shapern Prototypen zum Testen bekommen. Mehr gab es nicht.

Foto: Connor Baxter
Foto: Connor Baxter

Das Gespräch neigt sich dem Ende entgegen – es war ein Interview mit faszinierenden Einsichten von einem der größten Athleten der Geschichte des Actionsports; ein Mann, der nie in irgendeiner Form eine Meisterschaft gewonnen oder an regulären Wettbewerben teilgenommen hat. „Ich konnte es nicht ausstehen, gesagt zu bekommen, was ich zu tun und zu lassen habe. Wettkampf bremst Kreativität.” Dennoch kann er für sich beanspruchen, einer der Größten zu sein, wenn es darum geht, Wellen zu surfen oder innovativ zu sein.

Es ist eine beinahe wundersame Geschichte von Erfindungen, Innovationsdrang, Gefahrenzonen, Belohnungen und der Bereitschaft, sich Urängsten zu stellen, Dinge zu wagen, die niemals ein Mensch zuvor auf dem Schirm hatte. Und für Laird war der Weg immer auch eine Reise mit dem Glauben an das Schicksal.

„Es gibt keine Person, die bei etwas außergewöhnlich gut ist, aber ganz am Anfang nicht für möglich gehalten hat, irgendwann auf dieses Level zu kommen“, erklärt er abschließend: „Man erreicht nicht einen Punkt, den man nicht auch vorher auf irgendeine Weise im Fokus hatte. Vielleicht fehlte eine detaillierte Vorstellung dessen, wie es dort aussehen würde, aber man versucht ja auch nicht grundlos auf die Spitze eines Berges zu klettern – vielleicht wusste man nicht welcher Berg es letztlich wird, aber der Gipfel war schon vorher das Ziel.“

Hamiltons Erbe wurde geprägt von seinem Drang, es mit den Bergen aufzunehmen, auf die niemand zuvor geklettert war; Berge, die auf dem Gipfel Ausblicke in die Zukunft garantierten.

 

Dank an Tourism New Zealand und the Ultimate Waterman für die Unterstützung.

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