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Travel

MTB-Trip im Hochland Indiens: Trail ins Nirvana

Die Suche nach der etwas anderen Erleuchtung im Himalaya

Text und Fotos von Dan Milner

Man denkt an Orte wie Fort William, Morzine, Champery, Cairns oder Whistler, wenn es um Mountainbike-Hotspots geht. Der Pindari Glacier Trail in Indien gehört ebenfalls dazu. In den 30 Jahren, in denen er auf dem Bike sitzt, hat Dan Milner nichts Vergleichbares gesehen: eine Strava-freie Zone von Aufstiegen, die Lungen zermalmen und Abfahrten, die Bremsen zerstören; wo Duschen reiner Luxus sind, Tee mit Milch essentiell zum Leben gehört und spirituelle Erleuchtung denen versprochen wird, die Willens sind, hart dafür zu arbeiten.

Es dämmert, als wir das erste flackernde Licht von Khati sehen. Nach einem qualvoll langen Tag ist das ein wohltuendes Bild. Hinter uns liegt der 2940 Meter hohe Dhakuri Pass und 1600 Höhenmeter Aufstieg. Dieses Flackern verspricht uns nun Essen, ein Bett und vermutlich auch eine warme Dusche. Die Ahnung davon verhilft uns zu neuer Energie und trotz des abnehmenden Lichts sprinten wir die letzte Abfahrt als wäre sie eine Runde auf einem Downhill in Les Gets.

Der indische Mountainbiker Pankaj begleitet uns – er ist unser Guide und Reiseführer. Ausnahmsweise fährt er trotz seiner billigen Tennisschuhe und dem klappernden, schweren, alten Kona Hardtail vor. Er stammt aus Khati und wenn uns schon eine Person in den Ort führen muss, dann ist es wohl Pankaj. Er zeigt sein breitestes Grinsen, gleichzeitig ist es nicht leicht, ihn im Auge zu behalten; auch wenn mein Yeti und ich nur eine Handbreit von ihm entfernt fahren. Heute Abend wäre Pankaj „King Of The Mountain“, würde hier jemand die Strava App nutzen.

Der Strava-Mentalität zu entkommen, ist einer dieser Gründe, weshalb man an einen speziellen Ort wie diesem zum Biken kommt. Ich hatte zuvor einen geführten Trip zum Pindari-Gletscher gebucht. Diese Tour, im tiefen Norden Indiens und vor einer Kulisse der gewaltigsten Gipfel der Welt, liefert wirklich alles, was er verspricht: ein bisschen Abenteuer und unglaubliche Singletrails – und das jede Stunde unseres zwölfstündigen Tages. Sicherlich ist es kein Ort für Wettkampfgeist oder irgendwelche Technologien. Strava hat hier keinen Platz.

Die Gruppe, die uns in Khati ankommen sieht, besteht aus zwei Typen: einem bellenden Hund und einem Esel. Ich bin nicht überrascht. Es ist die Art von gemütlicher Truppe, die uns in fast jedem Ort, in dem wir bis jetzt halten, begrüßt hat. Müde und schmutzig wie wir sind, werden uns Plätze im lokalen Café zugewiesen, das zugleich als Einkaufsmöglichkeit dient. Hier fällt lokales indisches Bier in unsere Hände und Tüten salziger Snacks werden aufgerissen. Diese Zwischenmahlzeit kommt uns gelegen, sie hält uns am Leben bis unsere abendliche Variation an Currys vor uns ausgebreitet wird.

Wir gönnen uns eine ausgiebige Dusche. In diesem Fall sind es Eimer voll mit heißem Wasser, das wir über uns schütten, bevor wir frische Klamotten anziehen und uns wie neu geboren fühlen. Die Tage sind hart, das Fahren ist anstrengend und der Ausdauerfaktor hoch. Es scheint eine der besten Mountainbike-Touren zu werden, die ich in den vergangenen 30 Jahren gemacht habe. Der Trail, dem wir folgen, schlängelt sich kilometerlang am Fuße des mächtigen Himalaya. Er beginnt im dichten Dschungel und windet sich durch steile Hügel bis er über der Baumgrenze verläuft, gerade unter dem Pindari Gletscher – dem 3800 Meter hohen Endpunkt unserer Tour.

Der Trail an sich ist vorwiegend mit bröckelnden Steinblöcken gepflastert. Ein britischer Gesandter, dessen Name ironischerweise G.W. Traill war, hat ihn 1830 errichten lassen. Traill war der Meinung, dass seine Kolonial-Elite einen Wanderweg bräuchte, um leichter den Gletscher zu erreichen. Während wir uns diese steilen Berge hinaufkämpfen, traversieren und wieder abfahren, wundern wir uns, welch enorme Mühe es gekostet haben muss, diese unzähligen Steinplatten zu verlegen. Und das nur, damit man damals ein bisschen spazierengehen konnte. Wir beschweren uns natürlich nicht, denn hier zu fahren ist einzigartig; steile, griffige Anstiege und technisch schwierige Abfahrten.


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Ich teile dieses Erlebnis mit der ehemaligen Downhill-Weltmeisterin Tracy Moseley und ihrem Partner und Techniker James Richards, den erfahrenen Bike-Guides Phil und Lucy aus Verbier sowie ihrem Kumpel Christer. Unsere Aufregung ist groß, und wir teilen in dieser gewaltigen bergigen Umgebung neue Erfahrungen. Bei uns ist auch ein indischer Mountainbiker und Filmer: Vinay Menon staubt uns bei allen Abfahrten ein, am Ende klagt er aber immer über einen Reifenschaden.

Als wir Khati erreichen, haben wir schon fünf Tage hinter uns. Die meiste Zeit verbrachten wir auf kurvigen Abfahrten durch dichten halbtropischen Dschungel, wo moosbedeckte Bäume knistern und Truppen von Languraffen lautstark Grimassen schneiden. Am ersten Tag verlassen wir unsere einfache, idyllische, am See gelegene Pension im Nainital. Wir passieren muhende Straßenkühe und Hunde, die unachtsam den Weg kreuzen. Es dauert knapp 40 Minuten bis wir den eigentlichen Start unseres Trails erreichen. Dieser ist gekennzeichnet von steilen, herausfordernden, aber befahrbaren Stufen und einem abgelegenen Teehaus. Es ist das erste von vielen Teehäusern, die unseren zwölftägigen Trip unterbrechen werden. Gerne werden wir für etwas warmes Aufgebrühtes stehenbleiben und Rast machen. Hier in Indien gilt es als Unhöflichkeit, dies nicht zu tun. Während das erste Teehaus uns noch nicht so anspricht, wird es andere geben, die wie eine strahlende Fata Morgana wirken. Die stehen dann auch noch genau dort, wo wir sie brauchen: nach einem extrem anstrengenden Aufstieg.

Wir sind uns der gewaltigen Anstiege und den Höhenmetern, die wir bewältigen müssen, bewusst. Auch wenn diese ersten Tage sich als anstrengend erweisen, sind wir dankbar, uns akklimatisieren zu können. Zum Glück liegt Nainital nur auf 2000 Metern. Die Belohnung dieser frühen Anstiege sind die Abfahrten, in denen man durch dichten Wald und durch Felsgärten flowt, die alle mit einem grünen Moosteppich überzogen sind. Mike McLean hat seine Hausaufgaben gemacht. Sorgfältig hat er die Routen für jeden Tag kalkuliert und mehr Abfahrten als Anstiege integriert. Es soll sich keiner beschweren können. Trotz seines gut recherchierten Punkt-zu-Punkt-Routenplans und der Hilfe von klappernden Jeeps, um uns von den Endpunkten zu den Hotels zu bringen, treten wir täglich einen vertikalen Kilometer. Die Hoffnung, dass der Pindari-Gletscher ein einfacher Shuttle-Trip wird, kann man also getrost verwerfen. Hier werden Gravitationspunkte hart verdient.



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Jeder Tag endet schlängelnd durch Reisfelder und Orte mit staubigen Hinterhöfen voller Hühner und meckernder Ziegen – ein einzigartiges Erlebnis. James nennt es „das indische Streichelzoo-Erlebnis“. Jeden Abend entspannen wir in authentischen Pensionen, in denen schweres Bettzeug mit Tigerdruck und das Stöhnen der Rohrleitungen einfach dazugehören. Wir konsumieren gefühlt unser eigenes Körpergewicht an Currys und lernen schnell, welche unsere Lieblingsgerichte sind. All das, während wir wie gebannt auf die mit Schnee bedeckten Gipfel des Himalaya blicken. Uns wird bewusst, dass wir den Bergen immer näher kommen.

„Die Tage sind hart, das Biken ist anstrengend, aber wir wollten es nicht anders haben.“

Wir landeten im Oktober in Indien, im Anschluss an die Regenzeit – theoretisch jedenfalls. In diesem Jahr hat sich die Regenzeit verlängert, mit einer der schlimmsten Überflutungen, die diese Region gesehen hat. Monatelanger Regen forderte seinen Tribut und verursachte ein derartiges Chaos, dass es nicht einfach ist, von A nach B zu kommen. Straßen wurden ausradiert und unter Erdrutschen begraben, Planierraupen sind unterwegs, um sie wieder zu frei zu machen. Wir passieren eine dieser „wieder geöffneten“ Straßen, am Morgen von Tag fünf.

Wir verlassen Begashwar, Richtung Start des fünftägigen hochalpinen Teil dieses Trips, hinauf zum Himalaya und in richtig alpines Single Track Terrain. Vor uns liegt eine zweistündige Jeep-Fahrt, die uns zum Start des Trails bringt, direkt unter die 7000er Gipfel. Wir können es kaum erwarten, müssen aber erst mal dahin kommen.

Wenn es um die Fahrbahn geht, auf der wir unterwegs sind, ist die Bedeutung von „wieder geöffnet“ mehrdeutig. Unser Jeep watet durch eine strömende, schlammige Flut und kämpft sich seinen Weg ziemlich weit unterhalb des tobenden Flusses Pindari durch die Trümmer eines Erdrutsches.

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Die Geräusche von Wasserfällen begleiten uns auf der ganzen Reise. In der Region Uttrakhand liegt das großartige Abwasser-Netzwerk des Himalaya, welches schließlich zum heiligen Ganges wird, dem Fokus tausender Gläubiger. Irgendwie veranstalten wir unserer eigene bescheidene Pilgerreise, unsere zu einer alternativen Quelle des gleichen heiligen Flusses. Nur sind wir hier mit neun Personen unterwegs. Die Jeeps lassen uns an einem Teehaus aussteigen, wo wir unzählige Gläser von milchhaltigem Chai trinken. Wir warten auf unsere Lasttier-Support-Crew, aber sie sind zu spät. Das bedeutet, dass wir nach dem fünfstündigen und 1600 Höhenmeter langen Aufstieg, der vor uns liegt, in der Dunkelheit in Khati ankommen werden.

Zwischen unserem Ziel und uns liegt der 2940 Meter hohe Dhakuri-Pass. Der Zugang zu diesem steilen asphaltierten Weg ist nicht befahrbar, als einziger Teil des zwölftägigen Trips. Mike zieht ein Ass aus dem Ärmel: Träger. Der Plan eines Aliens? Jemanden zu bezahlen, der mein Bike tragen soll? Schnell erwärme ich mich für die Idee, indem ich mir vorstelle wie mein „Reichtum“ an die lokalen Dorfbewohner übergeht. Für sieben Euro pro Kopf werden die Bikes den Pass hochgehievt. Nur Mike, Vinay und Pankraj tragen ihre Bikes selbst.

Auf dem Trail von Traill sieht man normalerweise keine Biker. Der einzige Grund, weshalb man hier welche in die Pedale treten sieht, ist Mike und sein Team auf der Pindari Glacier Trail Tour. Die Kinder, die hier in die Schule gehen; die Dorfbewohner, die enorme Mengen an Heu auf ihren Schultern transportieren; Esel-Transporte, die Vorräte und Gasflaschen liefern; alle begegnen uns mit einem Lächeln und einem „Namaste“, voller Überraschung und Begeisterung. „Hier wird es einem nie langweilig“, sagt Mike, als ich ihn fragte, warum er als Guide hier in Indien lebt und arbeitet.

Khati liegt am Eingang des steilen Pindari-Tals. Hier führt uns der Trail in den nächsten zwei Tagen zu unserem Gletscher-Endpunkt Zero Point. Wir erreichen das Dorf Dwali, das nicht mehr ist, als eine kalte Wanderhütte der Regierung und ein verrauchtes, aber willkommenes Teehaus. Wir erreichen es gerade noch bevor ein Sturm heranrollt. Gerettet vor der natürlichen Dusche, wissen wir, dass wir noch einen langen Tag vor uns haben. Wir starten um fünf, als es noch dunkel ist. Das Ziel ist es, den Gletscher zu erreichen, bevor ein weiterer Sturm unseren griffigen felsigen Trail in eine ölige Rutschpartie verwandelt.

Wir rollen über mit Eis bedeckte Pfützen aus der Hütte und haben nur die Vorstellung eines Frühstücks in unserem Magen. Zwei Stunden später erreichen wir Phukiya, wo man schon den Teekessel für uns aufgestellt hat. In Decken gewickelt, wiegen wir nun heiße Schüssel voll Porridge in unseren Händen. Alle lächeln zufrieden. Es ist acht Uhr in der Früh und ich denke an die Hektik der Pendler, an das Verkehrschaos in einer anderen Welt. In der Welt, aus der ich komme und die ich mein Zuhause nenne.

Die Höhenluft verlangsamt unser Tempo. Auf knapp 4000 Metern Höhe atmet man mühsam. Ich versuche permanent, in einen niedrigeren Gang zu schalten, und stelle bestürzt fest, dass es ihn nicht gibt. Wir lassen die Baumgrenze hinter uns und fühlen uns wie Zwerge. Neben uns die emporragenden Formationen des 7861 Meter hohen Nanda Devi und seiner Schwester, der 6861 Meter hohen Nada Kot. Immense Wände von schneebedecktem Fels, die jedes Größenverhältnis komplett ausgehebelt haben, an das wir uns bis jetzt geklammert haben. In dieser Landschaft sind wir wahrlich verloren; winzig, unbedeutende Flecken auf dieser Erde.

Wir erreichen unser drittes und letztes Teehaus des Tages; ein abgeschiedenes Steingebäude, in dem ein in orange gekleideter Pilger lebt. Der Baba schenkt uns Tee ein und spricht begeistert durch seinen langen, verfilzten Bart. Ich gehe davon aus, dass nicht viele Besucher hierher kommen und Mike vertraut mir an, dass nur 50 Prozent diesen Pindari-Trip zu Ende fahren. Die Hälfte seiner Kunden schaffen es nicht, manchmal wegen des Schnees, meistens wegen der mangelnden Fitness.

Es gibt wieder indisches Bier und salzige Snacks.

Wir sind nur noch eine halbe Stunde vom Zero Point entfernt. Dem Punkt, der im wahrsten Sinne des Wortes und ganz unspektakulär vor einem Abgrund endet. Wir treten nach sechs Stunden Aufstieg noch mal richtig in die Pedale und versammeln uns schließlich am Gipfel unseres Trails. Die Aussicht auf den Pindari-Gletscher ist traumhaft, weiter unten plätschert ein kleiner Bach. Das eiskalte Schmelzwasser stürzt hinunter ins Tal und schäumt unter baufällige Brücken hindurch, die wir morgen wieder passieren werden. Es fließt immer schneller und wird irgendwann Teil des heiligen Ganges. Einen weiteren Moment lang versuchen wir die Eindrücke der Umgebung aufzusaugen, bevor wir uns umdrehen und zurück ins Tal blicken. Vor uns liegen noch mal vier Tage auf dem Bike, die mit einer zweistündigen, pausenlosen Abfahrt über 25 Kilometer beginnt.

Wir steigen auf und schieben mit einem einzigen Pedalstoß an. Hier fehlen vielleicht die Heerscharen von Pilgern, die an der offiziellen Quelle des Ganges stehen, aber dieser atemberaubende Trail brachte uns eine ganz eigene spirituelle Erleuchtung.



Infos

Mountain Bike Kerala veranstaltet im April und im September den Pindari Gletschertrip. Ein zwölftägiges Paket inklusive Unterkunft und Jeep oder Esel-Transport sowie Guide gibt es schon ab 1200 Euro.

Flug und Abendessen, wie auch Getränke müssen selbst übernommen werden. Verschiedene Airlines fliegen täglich nach Delhi. Ab 700 Euro gibt es Angebote von Lufthansa, Air India, Jet Airways oder Etihad.

Was die Ausrüstung angeht, ist ein voll gefedertes Travel Bike (120-150 mm) für die Tour am besten geeignet. Bitte sicherstellen, dass es leicht genug ist, um getragen zu werden. Doppeltbeschichtete Reifenseitenwände sind von Vorteil, um einen platten Reifen zu vermeiden.

Man benötigt außerdem einen Rucksack mit 18 bis 25 Litern Fassungsvermögen und einem Trinksystem für mindestens 3 Liter Wasservorrat; alle notwendigen Werkzeuge; eine wasserfeste Jacke und eine warme Extraschicht, wenn es in die höheren Lagen geht.

Das Essen ist großartig. Die Leute sind toll. Das Bike-Erlebnis ist der Wahnsinn. Was hält dich auf?

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