Autor: Gerhard Czerner Fotos: Martin Bissig
Der bis heute unbestiegene „Khawa Karpo“ ist einer der sogenannten „acht großen, heiligen Berge Tibets“. Der Pilgerweg um den Fuß des Berges gilt als einer der beeindruckendsten Naturpfade der Erde. Keiner konnte uns sagen, ob er sich zum Biken eignet. Wir sind aufgebrochen, um es herauszufinden und haben unvergessliche Momente erleben dürfen.
An den Umgang mit Stäbchen beim Essen habe ich mich gewöhnt. Woran ich mich aber nur schwer gewöhnen kann, sind die Entenköpfe, welche von Zeit zu Zeit in unserem Hot Pot, einer Art chinesischem Fondue, an die blubbernde Oberfläche getrieben werden. Zurückhaltend versuche ich zwischen ihnen und diversen, umher treibenden Innereien, ein paar Gemüse- oder Tofustücke zu ergattern, um meinen vegetarischen Appetit zu stillen. Eine echte Herausforderung wie ich feststellen muss. Als die nächste Ladung Fischköpfe im feuerroten Sud verschwindet, streiche ich endgültig die Segel und beschließe für heute genug gegessen zu haben. Für den Rest des Abends bleibe ich bei Jasmintee.
Gemeinsam mit drei Fahrern des „Liteville Enduro Team China“, Kevin, Jin und Ansel, sitze ich hier beim Abendessen in Shangri La. Nein, wir haben nicht das fiktive und von Mythen umgebene Shangri La entdeckt, welches durch den Roman „Der verlorene Horizont“ von James Hilton weltberühmt wurde. Wir sitzen in einer chinesischen Kleinstadt in der Provinz Yunnan, die bis ins Jahr 2001 noch den Namen „Zhongdian“ trug, etwa 130.00 Einwohner hat und 3150m über dem Meeresspiegel liegt. Die Namensänderung hatte rein geschäftliche Gründe, um nun mit dem sagenumwobenen Namen noch mehr Touristen hierher zu locken. Dementsprechend lieblich renoviert und von hunderten Läden überzogen zeigt sich die Altstadt. Allerlei tibetische Mitbringsel, von Gebetsfahnen über Klangschalen bis hin zu Yakpullovern, kann man hier erwerben. Dazu gibt es unzählige Teestuben, in denen einheimischer Tee zur Probe und zum Verkauf angeboten wird. Sie erinnern auch an die antike „Tea Horse Road“, welche hier einmal entlang gegangen ist. Sie war ein Netz aus alten Handelsrouten. Auf ihnen wurde vor allem „Pu Erh Tee“, aus der gleichnamigen Stadt, mit Pferden bis nach Lhasa transportiert.
Auch wir sind seit zwei Tagen Richtung Tibet unterwegs. Ohne Pferde, dafür mit unseren Mountainbikes im Gepäck. Wir haben uns vorgenommen, den östlichen Teil einer sogenannten Kora, einem Pilgerweg, um den Berg „Kawa Karpo“, zu befahren. Für die Tibeter ist die Umrundung des für sie heiligen Berges eine rituelle Handlung. Der Berg stellt für sie die Manifestation des Geistes Buddhas dar und mit der Umrundung hoffen viele diesem Buddha näher zu kommen. In besonderen Jahren des tibetischen Kalenders pilgern hier zig tausende Buddhisten im Uhrzeigersinn um den Berg. Auch wir sind Pilger auf unserem Weg. Zumindest, wenn man den lateinischen Wortstamm betrachtet. „Pilger“ kommt vom lateinischen Wort peregrinus oder peregrinari, „in der Fremde sein“. Und wir fühlen uns sehr fremd hier. Sicher sind Kevin und ich, beide aus Deutschland stammend, noch fremder als unsere beiden chinesischen Freunde, aber auch sie kennen die vor uns liegende Route nur von wagen Beschreibungen aus dem Internet. Ohne die beiden wäre es uns nicht einmal möglich, den vor uns blubbernden Hot Pot hier im Restaurant zu bestellen. Chinesische Schriftzeichen sind für uns wie Hieroglyphen und nicht zu entziffern. Mit unseren Kenntnissen in englischer Sprache kommen wir auch nicht weit. Die meisten sprechen in dieser Region so viel Englisch wie wir Chinesisch – praktisch kein Wort. Und so sind wir mehr als nur einmal am Tag froh, in einem international bunt gemischten Team unterwegs zu sein.