AUTOR: GERHARD CZERNER
FOTOS: MARTIN BISSIG
Jeder hat sie in sich. Seine ganz persönliche Landkarte von der Welt. Da gibt es Länder, die wir kennen, weil wir dort schon waren. In manchen leben wir oder haben wir gelebt. Andere sind um die Ecke und wir besuchen sie auf regelmäßigen Kurztrips. Es gibt auch solche, die uns nur vom Hörensagen, von Freunden, aus Nachrichten oder aus Büchern bekannt sind. Und dann sind da die, die uns noch nie begegnet sind, zu denen wir keinen Bezug haben, vielleicht noch nicht einmal ihren Namen gehört haben und wenn doch, ganz sicher nicht wissen, wo sie liegen. Weiße Flecken auf der Landkarte nennen wir diese oft. Einer dieser Flecken war für mich bis Anfang des Jahres der Oman.
Ich bin mir meiner Unwissenheit bewusst geworden auf einem Flug im März nach Südfrankreich. Ich blätterte im Bordmagazin und las einen Artikel über das sicherste Reiseland Arabiens, den Oman: Küsten, Traumstrände, Wüsten und bis zu 3000 Meter hohe Berge – so könnte eine kurze Zusammenfassung des Artikels aussehen. Und damit war sie geweckt, meine Neugierde. Denn wo es so hohe Berge gibt, müsste man auch biken können. Und wenn das Gebirge noch unweit der Küste ist, umso besser, dann wäre für Abwechslung gesorgt. Also startete ich die Recherche im Internet, kaufte einen Reiseführer, und wurde Gefangener der Geschichten über sagenhaft reiche Karawanenstädte, von Weihrauchhäfen und den Legenden von Sindbad dem Seefahrer, dessen Geburtsstadt auch im Oman zu finden ist.
Heißer Empfang bei 42 Grad
Die innere Landkarte von meinem Freund Bernhard hat hier in Südarabien einen nicht ganz so weißen Fleck. Der Oman stand schon länger auf seiner Reise-Wunschliste. Perfekt, ein Reisegefährte war gefunden. Ende Oktober schien ein guter Zeitpunkt zu sein. Die Bikesaison in der Heimat neigt sich dem Ende zu, und die Tageshöchsttemperaturen des omanischen Sommers von bis zu 48° werden geringer. Ein Flug war schnell gefunden. Oman Air bietet Flüge von Deutschland nonstop in die Hauptstadt Muscat an. Auch unsere Bikes bekamen wir dort unter. Der komfortable Flug dauerte von Frankfurt gerade mal 6,5 Stunden.
Als wir aus dem Flughafengebäude austreten, um unseren gebuchten Geländewagen in Empfang zu nehmen, stockt uns der Atem, so heiß ist es. Wer hat was von erträglichen Temperaturen gesagt? Die Anzeige im Auto zeigt 42 Grad. Schon beim Verladen der Bikes kommen wir ins Schwitzen. Wir sind froh, dass unsere erste Station auf etwa 2000 Metern über dem Meer liegt. Dort ist es hoffentlich etwas kälter. Wir starten die Fahrt gut klimatisiert, aber nicht ohne davor Vorräte, vor allem Wasser, gebunkert zu haben. Die perfekt ausgebaute Autobahn führt uns hinein in eine gelb-rötliche Hügellandschaft. Irgendwann muss es doch mal bergauf gehen, schon Stunden fahren wir fast eben dahin. Die Berggestalten werden höher und endlich ändert sich auch das Streckenprofil. Anfangs noch geteert, geht es bald auf einer löchrigen Schotterstraße steil bergauf. Die uns umgebenden Tafelberge werden im Sonnenuntergang in ein faszinierendes Licht getaucht. Erst als es stockdunkel ist, erreichen wir die Bungalowanlage, checken ein und freuen uns über die kühle Abendluft.
Nachdem wir die Bikes montiert haben, starten wir am nächsten Morgen zu Erkundungsfahrten auf dem Plateau des Djebel Shams. Die Bergkette trägt den Namen des höchsten Berges Arabiens, welcher mit seinen 3005 Metern direkt gegenüber unserer Unterkunft in den Himmel ragt. Dazwischen liegt ein Naturschauspiel, wie es eindrucksvoller kaum sein kann: der „Wadi an Nakhur“. Mit seinen 1100 Metern senkrecht abfallender Wände versperrt der Gand Canyon des Oman den direkten Weg zum Gipfel des höchsten Berges. Vom Resort sind es gerade einmal 400 Meter bis zur ungesicherten Kante am Canyonrand. Die Tiefe saugt uns fast hinab. Von hier oben sehen wir auch einen schmalen Pfad, der etwa 150 Meter weiter unten, auf einer Art Terrasse am Rande der Schlucht entlang führt. Das muss er sein, der „Balcony Walk“, die wohl bekannteste Trekkingroute im Oman.
Balcony Walk
Um die Mittagszeit ist es auch hier oben so heiß, dass wir zurück ins Resort fahren, um uns am Pool die Zeit zu vertreiben und Pläne zu schmieden. Der höchste Gipfel des Landes hat bereits zu Hause unsere Aufmerksamkeit geweckt. Und so erkunden wir am Nachmittag den Beginn des Aufstieges. Mit zehn Stunden ist der Hin- und Rückweg angegeben. Bergauf würden wir mit dem Bike auf keinen Fall schneller sein als zu Fuß, da das extrem steinige Gelände wohl nur wenige Meter fahren zulässt. Den Rest würden wir wohl schieben und tragen müssen. Da zieht uns der „Balcony Walk“ im Augenblick mehr in seinen Bann und wir beschließen, ihn morgen in Angriff zu nehmen. Den Gipfel heben wir uns erstmal für später auf.