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Adventure

Abenteuer Arktis | Fünf Monate im Alleingang durch Grönland

Wir haben mit Rekordhalter Alex Hibbert über die extremen Herausforderungen am Ende der Welt gesprochen

Die meisten Menschen denken bei Abenteurern in der Polarregion an Einzelgänger, die sich in der eiskalten Einsamkeit der Arktis wohler fühlen als in der Hektik des modernen Lebens. Für den 32-jährigen Alex Hibbert, der als Spezialist für Expeditionen in der Kälte mehrere Weltrekorde hält, trifft dies jedoch absolut nicht zu.

Der Engländer schrieb im Alter von gerade einmal 21 Jahren mit dem längsten Polartrip ohne fremde Unterstützung Geschichte. Bei unserem Treffen widerlegte er direkt das stereotype Bild einer ruhigen, introvertierten Person – ganz im Gegenteil, er war ziemlich gesprächig.

“Es gab nicht wirklich diesen einen Moment, in dem ich beschloss, ‘jetzt werde ich losziehen und all diese Abenteuer erleben.'”

Aber vielleicht ist das nicht so überraschend, wie es zunächst erscheinen mag. Der Mann arbeitet ja auch als Motivationstrainer und hat als Autor mehrere Bücher geschrieben. Kommunikation ist unabdingbar. Als er während des Gesprächs ins Detail geht, wird deutlich, dass eigentlich genau das Gegenteil von Einsamkeit der Schlüssel zum Überleben in den einsamsten Regionen unseres Planeten ist.

Man könnte denken, dass es ein instinktives Begehren war, das Ende der Erde zu besuchen – ein bereits in frühem Alter gehegter Wunsch. Das sei eine seltsame Sache, sagt Hibbert. Obwohl sein Vater bei der Marine war, seien Expeditionen nicht wirklich Träume seiner Kindheit gewesen. Erst an der Universität Oxford setzte sich bei Hibbert die Idee fest, irgendwann die Welt zu bereisen und versuchte sich zeitgleich in immer mehr Ausdauersportarten: “Fernkajakfahren, Ultralangstreckenlauf, all diese Dingen.”

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“Aber es gab nicht wirklich diesen einen Moment, in dem ich beschloss, ‘jetzt werde ich losziehen und all diese Abenteuer erleben.'” Große, lange Reisen jeglicher Art seien allmählich in seinem Kopf gereift. “Es fing an mit Klettern und Wandern, irgendwann auch zu kalten Orten. Erst dann realisierte ich plötzlich: ‘Ah, das ist also mein Ding!’ Ich verliebte mich in die trostlose Natur [dieser Orte]”, erklärt der heutige Polarforscher.

Hibbert dachte fortan darüber nach, wie er noch einen Schritt weiter gehen könnte, um größere Herausforderungen anzunehmen. Gegen den Willen seiner Eltern plante er die Langstrecke – eine 113 Tage dauernde Reise durch Grönland, komplett ohne Hilfe von außerhalb. Das würde einen neuen Weltrekord bedeuten. Es mag von außen betrachtet wie Wahnsinn klingen, frisch aus der Universität eine derartige Expedition erfolgreich zu absolvieren. Und verständlicherweise hatten eine Menge Leute nicht daran geglaubt, dass er es schaffen würde.

Im Kopf hatte er Sätze wie: “Ich bin zwar ein 21-Jähriger, aber das ist mir verdammt nochmal egal. Ich werde losziehen und sehen, ob ich diesen Rekord schaffen kann.” Genau dieses Gefühl der Entschlossenheit sowie das Ignorieren seiner Zweifler leistete Hibbert in den darauf folgenden Jahren gute Dienste.

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Hört man seine Worte, wäre es leicht anzunehmen, dass Hibbert als einsamer Wolf nicht gerne unter Menschen ist. Denn wer als Ziel verfolgt, endlose Kilometer durch lebensfeindliche Eiswüsten zu laufen, der muss lange Zeit auf jede Form von Kommunikation verzichten können. Aber eigentlich sei seine Leidenschaft, “die Wunder dieser trostlosen Welt mit den Menschen zu teilen, die nicht dabei sein können.” Und er liebe es, nach einer Expedition zurück nach London kommen, um das zu tun.

“Ich bin absolut dagegen, wenn Leute sagen, dass bei Menschen in großen Städten automatisch auch die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt”, betont Hibbert. “Es ist einfach nicht wahr. In Großbritannien haben wir ein sehr hohes Tempo im Leben. Wir wollen eben eine Menge erledigen und erkennen die Kürze des Lebens – ich stehe ganz und gar dahinter.”

 

In der Tat lebt Hibbert vom Kontrast zwischen der Polarforschung und seinem Leben in London. Wenn er sich in der Arktis oder Antarktis befindet, diene die menschliche Interaktion und der Gedanke, nach Vollendung der Mission wieder nach Hause zu kommen, als Lebensader, erklärt er. Es seien nicht die Eisbären oder die Temperaturen unter Null, vor denen er Angst habe, sondern vielmehr eine vollständige Loslösung von diesem anderen Leben.

“Du wirst auf keinen Fall zum Kulturbanausen, weil du deine Playlist auch mal mit etwas lächerlicher Musik füllst. Es geht nur darum, wie das Gehirn dadurch positiv profitiert.”

Man könnte sich vorstellen, ein Polarforscher würde es genießen, die westliche Welt völlig hinter sich zu lassen, um quasi mit einer “Diät” aus reiner Einsamkeit zu überleben. Aber Hibbert ist auf seinen Reisen nie durchweg allein. Er betont, dass er zwischendurch jemanden brauche, weil er sonst sonst zu starke Langweile bekommen würde und sehr kämpfen müsse, um die Expedition zu beenden.

Er will auch nicht darauf verzichten, auf seinen Trips Technologie einzusetzen, um durchzuhalten. “Du wirst auf keinen Fall zum Kulturbanausen, weil du deinen iPod auch mal mit etwas lächerlicher Musik füllst. Es geht nur darum, wie das Gehirn dadurch positiv profitiert. Und dieser Input bedeutet auch nicht, dass man es nicht zu schätzen weiß, wo man sich gerade befindet. Man hat unterwegs viele Möglichkeiten, die Rauheit und Härte des Ortes zu erleben.”

“Aber auf Reisen, die zwei Monate oder länger dauern, braucht man etwas anderes. Eine Menge Leute gehen sie nicht über einen Monat hinaus, geschweige denn sogar über zwei Monate. Ich bin manchmal fünf unterwegs. Danach muss man sich daran erinnern, dass die Außenwelt existiert. Andernfalls wird man zwangsläufig Probleme bekommen.”

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Im vergangenen Winter 2014 versuchte Hibbert gemeinsam mit anderen Abenteurern, am Nordpol einen weiteren Rekord zu brechen, schaffte es jedoch nicht aufgrund von schlechten Wetterbedingungen. Doch statt aufzugeben und nach Hause zu fliegen nutzten sie die Gelegenheit und begleiteten eine Gruppe der ansässigen Jäger, um ihre Kultur näher kennenzulernen.

“Wir haben echte Freunde dort gefunden, weil wir uns vollständig integrierten. Wir hatten Demut. Wir schwiegen, hörten und sahen zu, wir lernten einfach.” Er erzählt, die Erfahrung habe ihn viel gelehrt. “Sie sehen die Dinge ganz anders verglichen mit unserem Kulturkreis. Sie finden, dass wir zu viel reden. Sie können ohne Probleme zusammen in einem Raum schweigend eine Weile sitzen und es wird überhaupt kein Gefühl von Peinlichkeit aufkommen. Sie haben diesen stillen Zusammenhalt, eine wahre Kameradschaft. Wir haben hingegen immer das Gefühl und dieses angeborene Bedürfnis, solch eine Stille füllen zu müssen.”

Obwohl ihn diese Zeit dazu brachte, gewisse Aspekte unserer geschäftigen westlichen Gesellschaft neu zu bewerten und zu hinterfragen, weiß er jetzt die Interaktion auch anders zu schätzen.

“Sie haben diesen stillen Zusammenhalt, eine wahre Kameradschaft. Wir haben hingegen immer das Gefühl, solch eine Stille füllen zu müssen.”

Diese Fähigkeit, vollständig einzutauchen in der Erfahrung, aber zur gleichen Zeit geistig mit dem anderen Leben verbunden zu bleiben, sei entscheidend, glaubt er. “Ich kann so vergleichen, habe den wunderbaren Kontrast zwischen beiden Welten.” Seine ausgewogene Perspektive dient ihm auch, wenn es um die finanzielle Seite seiner Expeditionen geht. Polarforschung ist nicht unbedingt günstig, aber Alex sieht sich als Realist, wenn um das Thema Geld geht.

“Ich mache das nicht als reformierter Hippie. Ich möchte Dinge einfach wirklich gut und anders als andere Menschen lösen… Aber ich denke, eine Menge Leute in meinem Beruf haben Angst, so etwas laut auszusprechen.” Es sei in Ordnung Geld zu verdienen und sich im Anschluss nicht dafür zu entschuldigen. Er erklärt, dass man ein gewisses Gespür entwickeln muss, wann man Angebote annehmen oder aber Sponsoring-Verträge ablehnen sollte.

Er tritt leidenschaftlich für das ein, was Polarforschung für ihn bedeutet und will nicht ausschließlich die Geschichten erzählen, die seine Sponsoren am liebsten hören möchten. “Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit und die Wahrheit sind ungemein wichtig”, sagt er. Es gehe mit Sicherheit nicht nur darum, wo seine nächsten Sponsorenverträge oder Gehaltsschecks herkommen.

“Die Natur begeistert mich aufgrund einer Vielzahl von Ursachen, allerdings bin ich kein Umweltaktivist. Einige Leute haben mich dafür kritisiert, weil sie denken, ich müsse in meiner Situation genau das sein.” Aber Zweifel und Kritik anderer Leute sind nicht etwas, dem Hibbert wirklich viel Aufmerksamkeit schenkt. Und es ist seine eiserne Entschlossenheit, die dazu beigetragen hat, dass ihm diese unglaublichen Ausdauerleistungen bisher gelungen sind.

“Eigensinnig zu sein und die eigene Verbohrtheit helfen mir, glaube ich”, gibt er zu. Ob Alex denkt, dass er gut bei dem ist, was er macht? “Ja, aber zugleich denke ich auch, dass ich mich noch verbessern kann. Der Mensch ist immer im Wandel. Die Dinge, die sich am Rande der menschlichen Fähigkeiten abgespielt haben, konnten dennoch im Laufe der Zeit Fortschritte machen und sich weiterentwickeln. Exakt das begeistert mich wirklich.”

Mit diesen Worten verabschiedet er sich und verschwindet im täglichen Chaos der Großstadt in eine seiner beiden Welten, in denen er sich heimisch fühlt.

Das Interview führte Bethan Andrews
Alle Fotos: © Alex Hibbert
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